Terra Nigra

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Als Terra Nigra wird sowohl Keramik der römischen Kaiserzeit (s. Terra Nigra (röm.) als auch solche der Spätantike/ Völkerwanderungszeit bezeichnet. Es handelt sich um eine Drehscheibenkeramik, die durch reduzierenden Brand und eine dunkle Färbung charakterisiert ist.

Die Entwicklung der Ware zeigt verschiedene kulturelle Einflüsse, denen die in diesem Kontext üblichen Bezeichnungen "Terra-Nigra-Derivate" oder "Terra Nigra germanischer Formtradition" mit der darin implizierten Polarisierung römisch versus "germanisch" nicht gerecht werden.

alternative Bezeichnungen

  • späte oder spätantike Terra-Nigra
  • braune Terra Nigra
  • germanische Terra Nigra
  • Pseudo-Nigra (Koch 1981)

Die spätantike Terra Nigra wird im Hinblick auf die römische Terra Nigra vielfach auch unter der Bezeichnung der "Terra-Nigra-Derivate" geführt, die indes auch für freihandgeformte Ware mit "germanischen" Traditionen verwendet wird (vgl. Schwarzgraue geglättete Ware (VwZ).

Die Forschung unterschied daher zwischen "brauner“ und „grauer“ Terra Nigraa (Bernhard 1985), wobei sich die graue Terra Nigra vor allem auf die Nigra der römischen Kaiserzeit bezieht. Die braune Terra Nigra galt aus der Perspektive der römischen Archäologie nicht als Nigra im engeren Sinne, sondern wurde beispielsweise als "Terra-Nigra-Derivate" oder als braun engobierte Ware bezeichnet, bei denen oft "germanischer" Ursprung postuliert wurde. Die Bezeichnung "braune" Terra Nigra ist gleichwohl irritierend, da auch bei ihr graue Farbtöne nicht ungewöhnlich sind. Robert Koch verwendete die Bezeichnung 'Pseudo-Nigra' (Koch 1981).

Forschungsgeschichte

Die Terra Nigra wurde zuletzt von H. Bernhard (1985), basierend u.a. auf Vorarbeiten von W. Unverzagt (1916) in Alzey, H. Roth (1952), G. Mildenberger (1972) und R. Koch (1981), umfassend bearbeitet. In jüngerer Zeit wurden im Zusammenhang mit den Publikationen der völkerwanderungszeitlichen Funde des Breisgaus (Bücker 1999) und der frühmittelalterlichen Funde aus Schleitheim (J. Leicht in: Burzler u.a. 2002, 83ff.) eingehendere Forschungen angestellt, die aber nur bedingt ein verbessertes Chronologiekonzept vorlegen konnten. Bei den Gefäßen von Alzey, die mit am Anfang der Diskussion stehen, handelt es sich aus heutiger Sicht also nicht um echte, graue Terra Nigra, sondern um braune Nigra oder Terra-Nigra-Derivate.

In den letzten Jahren hat eine verstärkte Auseinandersetzung mit den Drehscheibenwaren im "Barbaricum" gezeigt, dass sich vielfältige Anknüpfungen der braunen oder germanischen Nigra an die Keramik des östlichen Mitteleuropas ergeben (z.B. Bemmann u.a. 2011).

Charakteristika

Die graue Terra Nigra ist durch ihre Herstellung auf der Töpferscheibe sowie ihren gleichmäßigen reduzierenden Brand gekennzeichnet. Ihre Oberfläche ist dicht und geglättet bis poliert, teilweise sind Engoben nachgewiesen. Der Formenbestand ist sehr umfangreich und mit der von Roth (1952) und Koch (1981) aufgestellten Typologie nur ungenügend umschrieben. Eine starke Individualität der einzelnen Gefäße steht einer klaren Gliederung entgegen. Für alle Formen charakteristisch ist die geriefte Wandung. Die graue Terra Nigra datiert in die Mitte und 2. Hälfte des 4. Jahrhundert.

Gefäßformen der Terra Nigra mit den Typ-Nummern nach Koch 1981


Die im wesentlichen jüngere Gruppe sog. Terra-Nigra-Derivate ist nicht genau umschrieben und leitet zur Knickwandkeramik über (Bernhard 1985, 114 ff.).

Salem (Bodenseekreis), "Hardtwald", Hügel T , Terra Nigra-Schüssel, M. 4. Jh. Badisches Landesmuseum Inv. C 6155 c (Foto: Peter Gaul /Badisches Landesmuseum Karlsruhe [CC.0 1.0} via https://katalog.landesmuseum.de/object/C4D852426690454DBC4A8A4BB89D829B/Schale-Gefae)
Heidelberg-Neuenheim, Terra Nigra-Schüssel, um 500 Badisches Landesmuseum Inv. C 6072 (Foto: Peter Gaul /Badisches Landesmuseum Karlsruhe [CC.0 1.0} via https://katalog.landesmuseum.de/object/5F1E6DFE44A861ED2082608D794AD1FC/Schuessel)

Chronologie

Die braune Terra Nigra reicht in die römische Kaiserzeit zurück und ist beispielsweise in Mainfranken typisch für das 3. und frühe 4. Jahrhundert. Insgesamt läuft sie jedoch weiter bis in das 4. oder gar beginnende 5. Jahrhundert, wobei hier die Abgrenzung gegenüber den Terra-Nigra-Derivaten Definitionspielräume eröffnet.

Eine gewisse chronologische Gliederung ergibt sich aus der Seriation der Nigra-führenden Bestattungen aus dem südwestdeutschen Raum (Bernhard 1985; J. Leicht in: Burzler u.a. 2002, 83ff. korrigierte Tab. S. 86). Es zeigt sich dabei eine Tendenz von flachen Gefäßformen hin zu höheren.

Verbreitung

Terra Nigra ist sowohl aus dem rechtsrheinischen germanischen, wie auch aus dem linksrheinischen römischen Gebiet bekannt, weshalb eine ethnische Zuordnung lange Zeit umstritten war. Heute lassen sich verschiedene Produktionsorte unterscheiden, die beiderseits des Rheins lokalisiert werden können. So ist neben den bedeutenden Zentren am Rhein eine Nigra-Produktion auch im Neckarland sowie im rätischen Raum anzunehmen, aber auch in Mainfranken (Steidl 2002; Steidl 2009). Der Anteil von Terra-Nigra am Keramikbestand ist in den völkerwanderungszeitlichen Siedlungen höchst unterschiedlich. In einiger Zahl tritt Terra Nigra in den Siedlungen des Neckarlandes (z.B. Renningen, Raite) und in etwas abweichender Ausprägung wieder im Raum Dillingen auf, während sie im Bereich der Alb bislang kaum vertreten ist und etwa in Sontheim im Stubental völlig fehlt (Bernhard 1985; Koch 1981).

Wichtige Fundorte

Literaturhinweise

  • Bemmann u.a. 2011: J. Bemmann/M. Hegewisch/M. Meyer/M. Schmauder (Hrsg.), Drehscheibentöpferei im Barbaricum. Technologietransfer und Professionalisierung eines Handwerks am Rande des Römischen Imperiums ; Akten der Internationalen Tagung in Bonn vom 11. bis 14. Juni 2009. Bonner Beiträge zur vor- und frühgeschichtlichen Archäologie 13 (Bonn 2011).
  • Bernhard 1984/85: H. Bernhard, Studien zur spätrömischen Terra Nigra zwischen Rhein, Main und Neckar. Saalburg-Jahrb. 40-41, 1984/85, 34–120.
  • Bücker 1999: C. Bücker, Frühe Alamannen im Breisgau. Untersuchungen zu den Anfängen der germanischen Besiedlung im Breisgau während des 4. und 5. Jahrhunderts n. Chr. Archäologie und Geschichte 9 (Sigmaringen 1999). - https://doi.org/10.11588/propylaeum.692
  • Frank 2009: K. Frank, Spätkaiserzeitliche Drehscheubenkeramik aus der Region an Main und Tauber. In: J. Bemmann/M. Hegewisch/M. Meyer/M. Schmauder (Hrsg.), Drehscheibentöpferei im Barbaricum. Technologietransfer und Professionalisierung eines Handwerks am Rande des Römischen Imperiums ; Akten der Internationalen Tagung in Bonn vom 11. bis 14. Juni 2009. Bonner Beiträge zur vor- und frühgeschichtlichen Archäologie 13 (Bonn 2011) 175–193.
  • Jäger / Gross 2019: S. Jäger / U. Gross, Handgemacht und scheibengedreht. Keramik des späten 3. bis 5. Jahrhunderts im östlichen Oberrheingebiet. In: G. Kuhnle / E. Wirbelauer / M. Keller (Hrsg.), Am anderen Flussufer. Die Spätantike beiderseits des südlichen Oberrheins. Archäologische Informationen aus Baden-Württemberg 81 (Esslingen 2019) 109–122.
  • Koch 1981: R. Koch, Terra-Nigra-Keramik und angebliche Nigra-Ware aus dem Neckargebiet. Fundber. Bad.-Württ. 6, 1981, 579–602.
  • Leicht 2002: J. Leicht in: A. Burzler / M. Höneisen / B. Ruckstuhl (Hrsg.), Das frühmittelalterliche Schleitheim - Siedlung, Gräberfeld und Kirche. Schaffhauser Archäologie 5 (Schaffhausen 2002)., 83ff.
  • Mildenberger 1972: G. Mildenberger, Terra Nigra aus Nordhessen. Fundber. Hessen 12, 1972, 104–126.
  • Pescheck 1978: C. Pescheck, Die germanischen Bodenfunde der römischen Kaiserzeit in Mainfranken. Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 27 (München 1978).
  • Roth 1952: H. Roth, Skelettgräber des 4. Jahrhunderts n.Chr. aus Ilbenstadt (Wetterau). Zugleich ein Beitrag zur Herkunft und Zeitstellung der südwestdeutschen spätkaiserlichen Terranigra-Schalen. Saalburg-Jahrb. 11, 1952, 5–17.
  • Schach-Dörges 1981: H. Schach-Dörges, Frühalamannische Funde von Lauffen am Neckar. Fundber. Bad.-Württ. 6, 1981, 615–665. - DOI: https://doi.org/10.11588/fbbw.1981.0.26405
  • Schach-Dörges 1999: H. Schach-Dörges, Zur frühalamannischen Siedlung nordwestlich der Altstadt von Kirchheim unter Teck, Kreis Esslingen. Fundber. Bad.-Württ. 23, 1999, 261–305. - DOI: https://doi.org/10.11588/fbbw.1999.0.64714
  • Steidl 2002: B. Steidl, Lokale Drehscheibenkeramik römischer Formgebung aus dem germanischen Mainfranken. Zeugnis für die Verschleppung römischer Reichsbewohner nach Germanien? Bayer. Vorgeschbl. 67, 2002, 87–115.
  • Steidl 2009: B. Steidl, Lokale Drehscheibenware ds 3. Jahrhunderts aus Mainfranken. In: J. Bemmann/M. Hegewisch/M. Meyer/M. Schmauder (Hrsg.), Drehscheibentöpferei im Barbaricum. Technologietransfer und Professionalisierung eines Handwerks am Rande des Römischen Imperiums ; Akten der Internationalen Tagung in Bonn vom 11. bis 14. Juni 2009. Bonner Beiträge zur vor- und frühgeschichtlichen Archäologie 13 (Bonn 2011) 195–200.
  • Unverzagt 1916: W. Unverzagt, Die Keramik des Kastells Alzei. Mat. röm.-german. Keramik 2 (Frankfurt a. M. 1916).