Rauwandige Drehscheibenwaren der Merowingerzeit
Rauwandige Drehscheibenwaren sind eine geläufige Erscheinung der späten Merowingerzeit (Hübener 1969). Daneben gibt es eine Reihe spätantiker bzw. frühalamannischer rauwandiger Waren, die gelegentlich als ältere rauwandige Drehscheibenware oder wie hier in BaLISminK als "Rauwandige Drehscheibenware römischer Tradition" bezeichnet werden. Außerdem wird in anderen Regionen der Begriff der rauwandigen Drehscheibenware zudem nicht auf die römische Kaiser-, Völkerwanderungs- und Merowingerzeit beschränkt, sondern wird auch für Keramik verwendet, die an die jüngere Drehscheibenware anzugliedern ist (Losert 1993).
In der Merowingerzeit lassen sich verschiedene regioanle Ausprägungen erkennen, von denen zunächst nur die Rauwandige Drehscheibenware Donzdorfer Art (Neckarland/ Schwäb. Alb, FMa) genannt sei. Viele weitere Gruppen lassen sich bisher mangels ausführlicher Bearbeitungen nicht immer klar unterscheiden.
Forschungsgeschichte
Rauwandige Ware wurde zunächst in provinzialrömischem Kontext, etwa anhand der Funde des Kastells Niederbieber definiert (Oelmann 1976 [1914]). Für die Kenntnis und Einordnung der rauwandigen Drehscheibenware wurden die Funde aus dem Kastell Alzey wichtig, die Unverzagt 1918 publiziert wurden. Damit rückten die oxidierend gebrannten spätantiken Waren in den Mittelpunkt. Einige Autoren beschränkten den Begriff daher auch im frühen Mittelalter auf oxidierend gebranntes Geschirr. Kurt Böhner hatte 1958 die "rauhwandige Ware" auf die Töpfereien von Mayen (und Trier) bezogen, dabei jedoch der Farbe keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt (Böhner 1958, 49).
Die Forschung fokussierte zunächst auf die Rauwandige Drehscheibenware römischer Tradition und erkannte erst allmählich die weitere Entwicklung während der Merowingerzeit. Wolfgang Hübener wies beispielsweise in seiner 1962 abgeschlossenen Habilitationsschrift (Hübener 1969) die merowingerzeitliche Rauwandige Drehscheibenware Donzdorfer Art (Neckarland/ Schwäb. Alb, FMa) als "rauhwandige, leicht geriefte Ware" aus. Seitdem sind viele rauwandige Drehscheibenwaren des frühen Mittelalters identifiziert worden, die oft regional verbreitet waren und sich bisweilen auch mit nachgewiesenen Töpfereien verbinden lassen (vgl. Rauwandige Drehscheibenware Donzdorfer Art (Neckarland/ Schwäb. Alb, FMa)).
andere Bezeichnungen
- rauhwandige, leicht geriefte Ware
Charakteristika
Herstellungstechnik
Drehscheibenware, meist mit deutlichen Drehrillen
Brand/ Farbe
Rauwandige Drehscheibenware wurde oxidierend wie auch reduzierend gebrannt produziert. In der Forschung wurde die Gruppe aber oft auf die oxidierend gebrannten Gefäße begrenzt, wie sie im rheinfränkischen Raum üblich sind (Hübener/ Lobbedey 1964; Ament 1976).
Magerung
Die charakteristische Rauwandigkeit erfordert Magerunsgpartikel von mindestens der Magerungsgröße mittelgrob. Bei vielen Gruppen der rauwandigen Drehscheibenware sind dies Quarzpartikel.
Oberflächenbeschaffenheit
Namengebend ist die raue Oberfläche dieser Gruppe. Magerungspartikel durchstoßen dabei die Oberfläche.
Verzierungen
Die rauwandigen Drehscheibenwaren sind meist nur spärlich verziert. gelegentlich kommen horizontale Rillen oder auch mal Wellenlinien vor.
Varianten
- Rauwandige Drehscheibenware römischer Tradition
- Graue rauwandige Drehscheibenware
- Rauwandige Drehscheibenware Trierer Art (Trierer Land, FMa)
- Rauwandige Drehscheibenware Donzdorfer Art (Neckarland/ Schwäb. Alb, FMa)
- Rauwandige Drehscheibenware (Neckarland, FMa)
- Rauwandige Drehscheibenware Eichtersheimer Art (nördl. Oberrhein, FMa)
- Rauwandige Drehscheibenware Ettinger Art (Raum Ingolstadt, FMa)
- Rauwandige Drehscheibenware Neuhauser Art (Neckarland, FMa)
- Rauwandige Drehscheibenware Unterthürheimer Art (nördl. Schwaben, FMa)
- Rauwandige Drehscheibenware Westheimer Art (Mittelfranken, FMa)
- Rauwandige Drehscheibenware Wülfinger Art (Württ. Franken, FMa)
- Rauwandige Drehscheibenware donauländischer Art (Süddeutschland, VWz/ FMa)
- Rauwandige Drehscheibenware Regensburger Art (Regensburg, FMa)
In das weitere Umfeld gehört auch:
Gefäßformen
Töpfe
- Deckelfalztopf (Alzei 27), gelegentlich als Henkel- oder Kehlrandtopf bezeichnet: H. Petrikovits (1937) und R. Fellmann (1952) versuchten eine Gliederung der Randformen in die Typen a - e bzw. A - E. Beiden stand nur eine geringe Materialbasis zur Verfügung, so daß die chronologischen Ansätze angesichts großen Variantenreichtums gleichzeitiger Gefäße in ihrer Genauigkeit kaum haltbar geblieben sind. Als Kennzeichen der Töpfe bis zur Mitte des 4. Jahrhunderts können ein stark zur Schulter geneigter Rand, ein sehr bewegtes Randprofil mit einer massiven Verdickung am Hals, ein breiter Deckelfalz und ein gespannter Gefäßkörper mit hochliegendem Schwerpunkt gelten. Für das Ende des 5. und frühe 6. Jahrhundert sind die folgenden Kennzeichen zu nennen: ein schräg aufgerichteter und einfacher, außen unprofilierter Rand. Neben tonnenförmige Gefäßformen treten erste gewölbte Formen. Die weitere Entwicklungstendenz aber führt hin zu Sichelrändern und gewölbten Gefäßformen im späteren 6. und frühen 7. Jahrhundert (Roth-Rubi 1991; Gross 1992).
- Wölbwandtopf bzw. -becher (Alzei 32/33): Der Begriff 'Wölbwandtopf' ist etwas verwirrend, denn im Lauf des 6. Jahrhunderts nimmt auch der Deckelfalztopf Typ Alzei 27 eine bauchige gewölbte Form an. Die Randformen des Typs Alzei 32/33 umfassen einfache nach außen gebogene Lippen- und Wulstränder und weisen oft eine Halskehle auf. Der Typ tritt um 400 ohne frühere römische Vorläufer erstmals auf und löst in der Merowingerzeit den Deckelfalztopf ab. In der frühen Ausprägung des 5. Jahrhunderts sind Rand und Hals allgemein kräftig profiliert mit einer Rundstablippe und einer darunter liegenden Leiste. Die weitere Entwicklung ist gekennzeichnet vom Wegfall der Verkröpfung unter dem Rand und der Aufgabe der Rillen an der Schulter. Der Wulst unter dem Rand verliert im Lauf des späteren 5. Jahrhunderts an Massivität und tritt in der 1. Hälfte des 6. Jahrhunderts allenfalls noch als schmaler waagerechter Grat auf (Gross 1992, 429).
Krüge und Kannen
- Krüge, u.a. Kleeblattkannen (Alzei 17/18): Von Unverzagt war den Typen 17/18 nur Glanztonkeramik zugeordnet worden, Roth-Rubi (1991, 46) bezeichnet damit nun Kleeblattkannen verschiedener Waren, eben auch der rauwandigen Drehscheibenware, deren Krüge bisher unter Alzei 30 summiert wurden.
- Henkeltopf/Kanne (Alzei 30) mit bandförmigem Henkel
Teller und Schüsseln
- Teller: mit sichelförmigem Profil (Alzei 29) treten bis ins 6. Jahrhundert auf
- Schüssel mit innen verdicktem Wulstrand (Alzei 28): Eine Spätform mit innen und außen verdicktem Rand gehört noch ins 6./7. Jahrhundert (Gross 1992, 433f.). Der Typ ist im Rheinland häufig und wurde im 5. Jahrhundert ausweislich mineralogischer Untersuchungen auch im Raum Urach produziert.
- Reibschüssel: Einige Exemplare sind lediglich als Reibschüssel-Derivate aufzufassen, da sie die funktionell bedingte Rauhung im Inneren nicht mehr aufweisen. Der Ausguß fällt weg oder verkümmert zum typologischen Rudiment in Form eines Fingereindruckes auf dem Rand. Das Vorkommen echter Reibschalen mit Rauhung und Ausguß ist ein Indiz romanischer Lebensweise. Im rechtsrheinischen Raum bleibt die Reibschale seit der Merowingerzeit weitgehend auf den fränkischen Raum beschränkt. Sie lassen sich bis ins 9. Jahrhundert belegen.
Randformen
- Wulstrand
- dreikantiger Leistenrand
- Sichelrand
Chronologie
Rauwandige Drehscheibenwaren knüpfen vielfach an römische Traditionen an. Bei der Bearbeitung der Fränkischen Grabfunde aus Mayen und der Pellenz konstatierte Hermann Ament, dass "die aus den Produkten der späten Römerzeit ableitbare, für die frühmerowingische Zeit typische rauhwandige Ware mit ihrem relativ dicken Scherben und dem mäßig harten Brand (...) offenbar in spätmerowingischer Zeit durch eine glatt- und dünnwandige, oft recht hart gebrannte Keramik abgelöst" wird (Ament 1976, 46).
Verbreitung
Eine stringente überregionale Gruppierung wurde bisher nicht erarbeitet. Hinzuweisen ist daher lediglich auf einige punktuell faßbare Ausprägungen.
regionale Ausprägungen der frühmittelalterlichen rauwandigen Drehscheibenware
Verschiedene Varianten (s.o.) sind als regionale Ausprägungen zu verstehen.
- Rauwandige Drehscheibenware Wülfinger Art (Württ. Franken, FMa). In Württembergisch-Franken liegt aus Forchtenberg, Wüstung Wülfingen ein größerer Komplex rauwandiger Drehscheibenware vor (Schulze 1981). Hier ist auch ein Töpferofen nachgewiesen.
- Rauwandige Drehscheibenware Donzdorfer Art (Neckarland/ Schwäb. Alb, FMa)
- Rauwandige Drehscheibenware Eichtersheimer Art (nördl. Oberrhein, FMa) Die sogennante Eichtersheimer Gruppe ist vornehmlich in Nordbaden und am unteren Main verbreitet (Hübener/Lobbedey 1964). Neuere Untersuchungen und eine breitere Definition fehlen.
- Rauwandige Drehscheibenware (Neckarland, FMa) Im Neckarland tritt eine rauwandige Drehscheibenware auf, die derjenigen der Donzdorfer Art nahesteht, jedoch in der Scherbenbeschaffenheit Abweichungen aufweist. So fehlen das typische Craquelée sowie die charakteristischen rostbraunen Partikel. Eine klare Abgrenzung bzw. Definition ist bisher nicht erarbeitet, Von Bedeutung ist der 2021 ergrabene Töpferofen von Flacht, Friedhofstraße 17. Laut Vorbericht (Aust u.a. 2022) wurden im Brennraum des stehenden Ofens mit Lochtenne Gefäße der letzten, mislungenen Brennladung gefunden, die sehr grob mit Quarz und Glimmer gemagert war und sehr dicke Wandungen und Böden aufweist. Das Formenspektrum umfasst v.a. Wölbwandtöpfe mit sehr unterschiedlichen Randformen. Neben einfachen Wulsträndern "ausbiegende Rändern" sowie "unterschnittene, im Profil dreieckige Leistenränder" kommen auch Deckelfalzränder vor. Henkelfragmente deuten zudem auf die Produktion von Kannen.
Parallelen finden sich auch in Siedlungen im Hegau.
- Braune, meist rillenverzierte rauwandige Drehscheibenware (Neckarland, FMa). Ebenfalls im mittleren Neckarland ist eine zweite Sorte rauwandiger Drehscheibenware verbreitet, auf die U. Gross bei der Vorlage entsprechender Funde aus Neuhausen hingewiesen hat (rauwandige Drehscheibenware Neuhauser Art (Neckarland, FMa)) (Gross 1993), die in Renningen als braune, meist rillenverzierte rauwandige Drehscheibenware ausgesondert wurden. Sie zeichnet sich durch knollige Ränder, das Fehlen von Hälsen und bauchige Gefäßformen auf. Sie reicht sicherlich in nachmerowingische Zeit. Neben der braunen Scherbenfarbe besitzen viele Töpfe eine charakteristische Halskehle - wohl in Tradition der Wölbwandtöpfe Alzei 32/33. Sie dürften noch in das 5./6. Jahrhundert gehören.
- Rauwandige Drehscheibenware Unterthürheimer Art (nördl. Schwaben, FMa) In Bayerisch-Schwaben läßt sich bisher nur aus Gräbem eines kleinen Gebietes um Unterthürheim ein sog. "Typ Unterthürheim" erfassen, der durch abgestrichene Ränder mit Deckelfalz charakterisiert wird (Grünewald 1988, 180).
- Rauwandige Drehscheibenware Ettinger Art (Raum Ingolstadt, FMa) Im Ingolstädter Raum gibt sich nach der Bearbeitung von Michael Marchert eine regionale Grupüpe rauwandiger Drehscheibenware identifizieren, die einerseits der Donzdorfer Art nahe steht, andererseits Affinitäten zur den Funden aus dem Töpferofen von Regensburg, Oberisling zeigt. Wichtigster Fundort ist das Reihengräberfeld von Etting/ Nordumfahrung, das 2009/2010 ergraben wurde (Marchert 2020).
- Rauwandige Drehscheibenware Westheimer Art (Mittelfranken, FMa)
- sandige Drehscheibenware (Nordschweiz, FMa). Die Ware in römischer Tradition löst im 7. Jahrhundert die römische rauwandige Gebrauchskeramik ab. Sie zeichnet sich durch reichliche Magerung einheitlicher Korngröße aus, gelegentlich treten Rollstempel auf, sowohl einfache, wie sie vergleichbar von rauwandiger Drehscheibenware Donzdorfer Art, als auch Gitterrollstempel, wie sie von der älteren gelben Drehscheibenware bekannt sind (Tauber 1988; Marti 1990, 142; Marti 1995).
Herstellungsbelege
- Töpferofen von Donzdorf, Hinterer Brühl
- Forchtenberg, Wüstung Wülfingen
- Oberisling, Galgenberg bei Regensburg
- Flacht, Friedhofstraße 17.
- Mayen
Kulturgeschichtliche Einordnung und sozialer Kontext
Rauwandige Keramik macht in den Gräbern einen Großteil der Gefäßbeigaben aus. Sie ist besonders wichtig, da sie auch in den Siedlungen vorhanden ist und so die Verknüpfung zwischen Grab und Siedlungschronologie erlaubt.
Literaturhinweise
- Ament 1976: H. Ament, Die fränkischen Grabfunde aus Mayen und der Pellenz. German. Denkm. Völkerwanderungszeit B 9 (Berlin 1976). <ISBN 3786110097>
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- Gross 1991; U. Gross, Mittelalterliche Keramik zwischen Neckarmündung und schwäbischtr Alb, Bemerkungcn zur räumlichen Entwicklung und zeitlichen Gliederung. Forsch. u. Ber. Arch. Mittelalter Bad.-Württ, 12 (Stuttgart 1991).
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- Grünewald 1988: Ch. Grünewald, Das alamannische Gräberfeld von Unterthürheim, Bayerisch-Schwaben. Matherialh. bayer. Vorgesch. A 59 (Kallmünz 1988).
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