Quellrand
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Quellränder (auch Quellböden oder Quetschränder) sind keine Randform, sondern ein herstellungstechnisches Merkmal am Boden. Eine ähnliche Erscheinung bzw. eine besondere Ausprägung der Quellränder sind die Quetschfalten (auch Bodenfalten, s. u.).
Beschreibung und Vorkommen
Die eigentlichen Quellränder lassen sich beschreiben als ein umlaufender Grat bzw. eine umlaufende Erhöhung entlang der Bodenkante, die nur geringfügig über die Bodenfläche hinausragt - in der Art eines sehr schwach ausgeprägten Standrings, denn sie sind nur wenige Millimeter breit.
Quellränder sind ein charakteristisches Merkmal nachgedrehter Keramik (Pletzer 1990, 8. - Scholkmann 1978a, 61). Vereinzelt wurden sie jedoch auch an Drehscheibenware beobachtet (Pletzer 1990, 9f., 35). Quellränder können mit sandgerauten Böden (Scholkmann 1978, 62 u. Abb. 58, 1. 5) Achsabdrücken (Schulze 1981, Abb. 12.6) oder mit plastischen Bodenzeichen(Scholkmann 1978, 62 Anm. 268, Pletzer 1990, 11) am selben Gefäßboden gemeinsam auftreten.
Quetschfalten
Die im Vergleich zu den Quellrändern eher selten beschriebenen Quetschfalten sind eine randparallele umlaufende Falte bzw. feine Rinne oder Fuge. Der Rand des Bodens ist hier nicht erhaben, sondern befindet sich in gleicher Ebene mit der Bodenfläche.
Hypothesen zur Entstehung der Quellränder
In der Literatur zu den Quellrändern finden sich mehrere Hypothesen zu ihrer Entstehung. Es sollte dabei auch die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass unter den als "Quellrand" eingeordneten Merkmalen unterschiedliche Phänomene zusammengefasst werden, die zwar oberflächlich ähnlich aussehen, aber auf verschiedene Weise entstanden sein können - dass also nicht nur eine, sondern mehrere Hypothesen zur Entstehung der Quellränder gültig sind.
Herunterquellen über den Rand der Töpferscheibe
Forschungsgeschichtlich nahm man zunächst an, dass die Quellränder entstanden, indem der Ton über die Kante der Töpferscheibe (bzw. genauer: über die Kante des Scheibenkopfes bzw. Drehtellers der Töpferscheibe) hinaus herabgequetscht, -gedrückt oder -gestrichen wurde, wobei der Gefäßboden um wenige Millimeter größer gewesen sei als der Scheibenkopf (Schuldt 1981, 47; Lais 1958, 191). Der Scheibenkopf müsste gemäß dieser Hypothese recht schmal gewesen sein (Lais a.a.O. nimmt in dem Zusammenhang als Töpferscheibe eine hypothetische sogenannte „Drehsäule“ an).
Zwischenscheiben
Anknüpfend an diese Vorstellung wurde eine weitere Hypothese zur Entstehung der Quellränder entwickelt: Der Ton sei nicht über die Kante der Töpferscheibe, sondern über die Kante einer so genannten Zwischenscheibe herabgestrichen worden:
"Bei der Verwendung einer Zwischenscheibe zwischen Gefäßboden und Töpferscheibe quillt der Ton am Bodenrand des Gefäßes nach unten über und bleibt am Gefäßboden als leichter Grat stehen." (Lüdtke/Schietzel 2001, S. 954)
Derartige Zwischenscheiben (auch Pumpf oder Bomse (Gross 1991, 138)1 genannt) und sind auch ethnographisch belegt (Hampe / Winter 1962, 57 u. Taf. 24-28, 43, 45, 46, 50. – Schütz 2007, 266.) und werden auch heute noch in der modernen Drehscheibentöpferei verwendet (Colbeck 1983, 27f.) Ihr Zweck ist es in erster Linie, eine Verformung beim Abheben des Gefäßes von der Töpferscheibe zu vermeiden, und sie werden bei großen, weit ausladenden Formen mit schmalen Böden verwendet. Sie werden vor der Gefäßformung mit Ton auf der Töpferscheibe befestigt, moderne Varianten auch mit Zapfen in entsprechende Löcher im Scheibenkopf befestigt. Jedes Gefäß wird auf einer eigenen Zwischenscheibe angefertigt und zusammen mit der Zwischenscheibe von der Töpferscheibe abgenommen und zum Trocknen abgestellt. Die Scheibe ist sofort für das nächste Gefäß frei.
Die Auffassung, die Quellränder gingen auf die Verwendung solcher Zwischenscheiben zurück, setzte sich in der Archäologie des Mittelalters weitgehend durch. Einige Beobachtungen geben allerdings Anlass zu Zweifeln. Bei den rezenten ethnographischen Parallelen zur nachgedrehten Keramik, d. h. bei der Wulsttechnik auf langsamen, handbetriebenen Töpferscheiben, ist sowohl die Arbeit mit (Schütz 2007, 266) als auch ohne Zwischenscheiben (Zelenin 1927, 106) bezeugt. Die Arbeitsweise, die für die Entstehung der Quellränder angenommen wird und bei der der Ton über die Kante der Zwischenscheibe herunter quillt, basiert eher auf hypothetischen Überlegungen, es wurden jedenfalls keine ethnographischen Parallelen dazu genannt. In den ethnographischen Quellen wie auch in der modernen Töpferei ist die Zwischenscheibe größer als der Gefäßboden. Gegen die Entstehung der Quellränder durch die Verwendung von Zwischenscheiben spricht vor allem auch ihr gemeinsames Auftreten mit Achsabdrücken am selben Gefäßboden. Zumindest in diesen Fällen scheidet die Verwendung einer Zwischenscheibe aus: das Gefäß muss vielmehr direkt auf der Scheibenoberfläche gefertigt worden sein (es sei denn, man nimmt an, die Zwischenscheibe sei durchbohrt gewesen - was dann wiederum erklärungsbedürftig wäre).
Luftblasen unter dem Gefäß
Evtl. können Luftblasen unter dem Gefäßboden zur Entstehung von Quellrändern führen. So vermutete es Prof. Günter, ein Keramiker, der als Experte zur Begutachtung von archäologischem Material hinzugezogen wurde.
Nachbearbeitung des Gefäßes durch Herabstreichen der unteren Wandung
Wird von der unteren, äußeren Gefäßwandung her Ton mit den Fingern oder einem Werkzeug nach unten gedrückt oder gestrichen, kann etwas entstehen, das wie ein Quellrand aussieht. Dieses Herabbewegen von Ton kann auf verschiedene Weise geschehen: bei handgemachter Fertigung oder auch an einem umgedrehten Gefäß auf einer Töpferscheibe, und zu verschiedenen Zwecken: Glätten, verdichten oder dünner machen der Gefäßwandung oder eine Verbreiterung des Bodens, „bei der der Töpfer von innen her gegen die Wandung drückt und dabei gleichzeitig die Außenwand nach unten abstreicht“ (Prof. Günter, zit. Schulze 1981, 61 Anm. 369)
Einsetzen des Bodens
Für die Quetschfalten wurde angenommen, dass der Boden in die Wandung eingesetzt wurde bzw. der erste Wulst seitlich an die Bodenplatte angesetzt wurde (Pletzer 1990, 9).
Herabbewegen von Ton
Für die Quetschfalten wird alternativ auch eine Entstehung durch das Herausstreichen von Ton auf laufender Scheibe beschrieben: „Der Hafner an der Töpferscheibe, der vom Tonballen auf der sich drehenden Scheibe mit Zeigefinger und Daumen die Wand nach aufwärts wendet, merkt, daß er die Bodenfläche zu enge genommen hat. Er wendet die schon nach aufwärts gedrehte Wand wieder nach außen zurück, hinab auf die Scheibe und beginnt sie nun neu in die Höhe zu drängen. Die hinabgedrückte Wand bildet nun neben dem Boden eine scharfe gerillte Grenze.“ (Wiesinger 1937, 151.)
Unbeabsichtigte, spontane Entstehung
Experimente (Rogier 2015a) deuten darauf hin, dass Quellränder und Quetschfalten ohne besondere Maßnahmen während der Arbeit am Gefäß spontan entstehen können. Vermutlich spielt dabei ein seitlicher Druck gegen die untere Gefäßwandung dabei eine Rolle.
Literaturhinweise
- Lüdtke/Schietzel 2001: H. Lüdtke / K. Schietzel (Hrsg.), Handbuch zur mittelalterlichen Keramik in Nordeuropa. Schr. Arch. Landesmus. Schleswig 6 (Neumünster 2001) 954.
- Rogier 2015: M. Rogier, Mittelalterliche nachgedrehte Keramik. Überlegungen zur Definition, Bestimmung und Interpretation am Beispiel Baden-Württemberg (Tübingen 2015).