Karniesrand

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Der Karniesrand ist eine spezielle Ausprägung des Leistenrandes, in dessen typologische Entwicklung er sich auch zwanglos eingliedern lässt. Die Randform ist typisch für die jüngere Drehscheibenware.

Charakteristika

In seiner typischen Ausprägung ist der Rand S-förmig geschwungen. Kennzeichnend ist insbesondere die konkave, unterschnittene Leiste.

verschiedene Karniesränder

Karniesränder weisen eine große Bandbreite der formalen Gestaltung auf, so dass sie in manchen Typologien in mehrere Formen differenziert wurden.

In einigen Regionen, so z.B. in Franken ist die konkave Leiste durch eine Mittelrippe weiter profiliert.

Viele Autoren nehmen eine Differenzierung in schmale und breite Karniesränder vor (Z.B. Scholkmann 1978, Losert 1993, 48f.). Im allgemeinen verläuft die Entwicklung von schmalen zu breiten Leistenrändern, für deren Abgrenzung oft eine Breite von 2 cm angegeben wird.

Begriffsprobleme

alternative Bezeichnungen

In der Literatur finden sich verschiedene alternative Bezeichnungen, die jedoch oft unterschiedlich definiert sind. Der Kanriesrand ist konsequenterweise ein unterschnittener Leisten- oder Kragenrand.

  • Dornrand - allerdings wurden auch einfache Lippenränder als dornartig beschrieben!
  • unterschnittener Leistenrand
  • konkaver Leistenrand
  • Kragenrand (z.B. Erlacher 2023)
  • konkav profilierter Kragenrand (Mittelstraß 1994)
  • "nach außen schwingender Rand, am Innenrand gekehlt, oben gewölbt und schräg nach außen abgestrichen, schmale, überkragende, gekehlte Randleiste mit gerundetem Abschluß" (Hauser 1984, 68 nebst anderen ebenso ausführlich beschriebenen Ausprägungen des Karniesrandes)

Begriffsklärung

In der Architektur bezeichnet der Karnies ein konkav-konvexes, also S-förmiges Leistenprofil. Der französische Architekt Eugène-Emmanuel Viollet-le-Duc betont dabei, dass die Leiste unten immer so ausgeführt ist, dass ablaufendes Wasser vor der Wand abtropfen kann (Viollet-le-Duc 1860, 340). Daher ist neben der S-Form die Unterschneidung als Definitionskriterium zu sehen. Dieses letztere Definitionskriterium wurde in der Forschung jedoch regional unterschiedlich gewichtet, so dass beispielsweise in Nordbayern auch solche Ränder als Karniesrand bezeichnet wurden, denen eine solche Unterschneidung fehlt (z.B. Losert 1993, vergl. Gefäß, Bamberg, Lange Straße 25).

Karniesprofil nach Viollet-le-Duc
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Der vor allem von Uwe Lobbedey (1968) in die Forschung eingeführte Begriff wurde von einigen Forschern bewusst vermieden. Georg Hauser merkte bei der Bearbeitung der Funde aus Franken an, dass das S-förmige Profil, das in der Architektur den Begriff definiert, am fränksichen Fundmaterial ausgesprochen selten sei. Er verwies außerdem darauf, dass der Begriff die Einordnung in die Reihe der spätmittelalterlichen Leistenränder nicht zum Ausdruck bringe. Der Karniesrand habe daher keine Sonderstellung, weshalb er die "exklusive Benennung nur einer Form" für misverständlich hält (Hauser 1984, 70 Anm. 214). Ablehnend gegenüber der Bezeichnung äußerte sich auch Mittelstraß (1994, 127).

In BaLISminK wird der Begriff des Karniesrand dennoch verwendet, weil er eine diagnostisch leicht identifizierbare und in den verschiedenen Regionen auch chronologisch relativ gut eingrenzbare Randform darstellt, die zudem überregional gesehen, ein Phänomen der Formangleichung vertritt und daher auch kulturgeschichtlich bedeutend ist.


Ein Vorschlag für eine künftige konsequentere Bezeichnung des Karniesrandes wäre "Karnies-Leistenrand".

Chronologie

Bamberg, Lange Str. 25: Münzschatzgefäß (nach Losert 1993 Taf. 47,4 verändert)

Karniesränder treten in den meisten Regionen seit dem 12. Jahrhundert auf. Schmale Formen sind im allgemeinen für das 12./13. Jahrhundert charakteristisch, während breite Formen insbesondere im 15. Jahrhundert üblich waren.

Im Detail sind regional unterschiedliche Datierungen zu berücksichtigen.

Ein schmaler Karniesrand ist etwa an dem um 1175-90 datierten Münzschatzgefäß von Niederbipp (Kt. Bern) vorhanden, das W.E. Stöckli (1979) den grauen gerieften Drehscheibenware bzw. "grauen Basler Töpfen", einer Variante der älteren grauen Drehscheibenware zugewiesen hat.

Niederbipp (Kt. Bern): Münzschatzgefäß von 1897, um 1175-90, nachgedrehte Keramik (verändert nach Lobbedey 1968 Taf. 23,42)


Für Oberfranken ist die Stratigraphie des Bamberger Doms von Bedeutung, außerdem geben einige Münzschatzgefäße wichtige chronologische Anhaltspunkte. Genannt sei hier das Münzschatzgefäß aus Bamberg, Lange Straße 25, dessen Münzserie in das zweite Viertel des 13. Jh. verweist (tpq 1258) (Losert 1993, 48. 122f. Taf. 47,4). Das Gefäß wurde als Indikator für einen frühen Übergang zu breiten Karniesrändern aufgefasst (Losert 1993, 48.), doch ist zu beachten, dass der Rand nicht unterschnitten ist und somit nicht als Karniesrand im engeren Sinne, sondern lediglich als S-förmig profilierter konkaver Leistenrand zu klassifizieren ist.

überregionale Bedeutung

Karniesränder finden sich von Siebenbürgen () bis in die Normandie (Hincker 2006).

Der Karniesrand entwickelt sich - jedenfalls im südwestdeutschen Raum - aus Leistenrändern nachgedrehter Ware und früher jüngerer Drehscheibenware, allerdings kommen ähnliche Formen auch in der slawischen Keramik des 10./11. Jahrhunderts vor (Losert 1993, 48). Auch in Nordfrankreich treten im späten 9./ erste Hälfte des 10. Jahrhunderts Randformen auf, die unseren Karniesrändern entsprechen (Hincker 2006 fig. 16).

Die Ausbildung des Karniesrandes hat auch einen praktischen Aspekt bei der Handhabung. Durch die Unterschneidung des Leistenrandes lässt sich ein Karniesrandtopf mit einer Hand gut greifen (Abb.).

Handhabung eines Karniesrands (Foto R. Schreg mit Replikat von A. Klumpp)

Literaturhinweise

  • Erlacher 2023: N. Erlacher, Das mittelalterliche Kloster Münchsmünster. Archäologische Auswertung der Funde und Befunde. Materialhefte zur bayerischen Archäologie 116 (Bonn 2023).
  • Hauser 1984: G. Hauser, Beiträge zur Erforschung hoch- und spätmittelalterlicher Irdenware aus Franken. Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters. Beiheft 3 (Köln, Bonn 1984)
  • Hincker 2006: V. Hincker, Évolution des corpus céramiques en usage au haut Moyen Âge en Basse-Normandie à travers l'étude des rejets domestiques en contexte rural. In: ders. (Hrsg.), La céramique du haut Moyen Âge dans le nord-ouest de l'Europe : Ve-Xe siècles. actes du colloque de Caen 2004; bilan et perspectives dix ans après le colloque d'Outreau (Condé-sur-Noireau 2006) 131–157.
  • Lobbedey 1968: U. Lobbedey, Untersuchungen mittelalterlicher Keramik vornehmlich in Südwestdeutschland. Arb. Frühmittelalterforsch. 3 (Berlin 1968)
  • Losert 1993: Hans Losert, Die früh-hochmittelalterliche Keramik in Oberfranken. Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters. Beiheft 8 (Köln 1993). (ISBN: 9783792713235)
  • Mittelstraß 1994: T. Mittelstraß, Die Funde der archäologischen Ausgrabungen von 1991 und 1992 im Murnauer Schloß. In: Schloß Murnau. Ein Bauwerk der Stauferzeit und seine Geschichte. Forschungen zu Archäologie und Baugeschichte des Mittelalters und der Neuzeit in Bayern 1 (Murnau 1994) 120–273
  • Scholkmann 1978: B. Scholkmann, Sindelfingen, obere Vorstadt. Eine Siedlung des hohen und späten Mittelalters. Forsch. u. Ber. Arch. Mittelalter Bad.-Württ. 3 (Stuttgart 1978).
  • Viollet-le-Duc 1875: E.-E. Viollet-le-Duc, Dictionnaire raisonné de l'architecture française du XIe au XVIe siècle. tome 4 (Paris 1860).