Braune, meist rillenverzierte rauwandige Drehscheibenware (Neckarland, FMa)
Forschungsgeschichte
Funde der braunen, meist rillenverzierten rauwandigen Drehscheibenware sind aus dem Neckarland bzw. der angrenzenden Schwäbischen Alb schon seit den Ausgrabungen auf dem Runden Berg bei Urach in den späten 1960er Jahren bekannt (Kaschau 1976 Taf. 22,489 (Gruppe 13)). Hier lagen mehrere Scherben eines Gefäßes in einer wahrscheinlich ungestörten Pfostengrube, die der frühalamannischen Phase zugeordnet wurde, in einer jüngeren Bearbeitung aber in spätmerowingisch-karolingische Zeit datiert wurden (Grube 56a: Spors-Gröger, Befestigungsanlagen Abb. 21,8). In der Literatur wurden die Funde lange unterschiedlichen Warenarten zugewiesen. Vergleichbare Keramik aus Holzgerlingen und Stammheim, Schlössle zählte Gross zur älteren gelben Drehscheibenware (Gross 1991, 181. 187), während er sie in der Wüstung Raistingen bei Herrenberg zur rauwandigen Drehscheibenware rechnete (Gross 1991, 187 Taf. 100,3.8). In Urspring, Breiter Weg fasste sie K.H. Maier mehrheitlich in seinem Typ 1 der älteren gelben Drehscheibenware zusammen, obgleich er einräumte, dass sie „eigentlich einen weiteren Typ der rauwandigen Drehscheibenware“ darstelle (Maier 1994, 49). Für eine Reihe von Scherben aus Esslingen, St. Dionysius, die Lobbedey der älteren gelben Drehscheibenware zugerechnet hatte, hat bereits Gross eine Zugehörigkeit zur späten rauwandigen Drehscheibenware vermutet. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Randformen, die sich in das Spektrum der hier besprochenen braunen, meist rillenverzierten rauwandigen Drehscheibenware einfügen. Anhand der Bearbeitung der Funde der Siedlung Renningen, Neuwiesenäcker beschrieb R. Schreg (2006, 121ff.) die Ware unter dem hier gewählten Namen, während U. Gross sie in mehreren Aufsätzen (Gross 2002, 2008, 2012) im Kontext spätmerowingischer Drehscheibenware beschrieb und dabei v.a. auf die Funde aus Neuhausen verwiesen hat.
andere Bezeichnungen
- Neuhausener Ware
- Rauwandige Drehscheibenware Neuhauser Art (Neckarland, FMa)
Charakteristika
Die Scherbenbeschaffenheit der braunen, meist rillenverzierten rauwandigen Drehscheibenware weicht nur in wenigen Punkten von der rauwandigen Drehscheibenware römischer Tradition bzw. der grauen rauwandigen Drehscheibenware ab. Abgrenzungsschwierigkeiten können sich auch gegen die ältere gelbe Drehscheibenware und die Kammstrichware ergeben.
Herstellungstechnik
Drehscheibenware, teilweise aber wohl auch nachgedrehte Ware
Brand/ Farbe
Der Scherben ist hart gebrannt. Das Farbspektrum umfasst vor allem Brauntöne, doch kommen auch helle Scherben vor.
Magerung
stets grobe Magerung ist gewöhnlich stark, sehr viel seltener mäßig oder gar nur schwach. Magerungsmittel ist Quarz, zum Teil sind aber auch Beimengungen aus Kalk, Schamotte oder rostbraunen Partikeln zu beobachten. Schwarze Partikel treten nicht auf.
Oberflächenbeschaffenheit
rau
Verzierungen
Horizontaler Besenstrich tritt in Renningen an einem Fragment eines Topfes mit ausgebogenem Rand auf, das sehr gut entsprechenden Funden der Kammstrichware zur Seite gestellt werden kann.
Gefäßformen
Töpfe
Es gibt zwei Formen von Töpfen, solche mit ausgebogenen Rändern und solche mit Wulsträndern.
Schalen
Die Schalen der Braunen, meist rillenverzierte rauwandige Drehscheibenware sind im Allgemeinen von hellerer Färbung als die Töpfe, so dass man sie unter Umständen auch zur älteren gelben Drehscheibenware stellen könnte. Es fällt indessen auf, dass entsprechende Schalen an den meisten Fundorten mit älterer gelber Drehscheibenware fehlen und nur dort nachweisbar sind, wo sonst auch Funde der Braunen, meist rillenverzierten rauwandigen Drehscheibenware gemacht werden konnten. Zu nennen sind neben Renningen auch Herrenberg, Stammheim, Rottenburg, Neuhausen, der Goldberg und der Runde Berg. Auch die häufige Verzierung mit Horizontalrillen verbindet sie mit den Töpfen dieser Formen der braunen rauwandigen Drehscheibenware. Vergleichbare Schalen finden sich wiederum bei der Kammstrichware.
Henkeltöpfe
Henkeltöpfe sind bisher nicht sicher nachgewiesen. Eine Tülle aus Renningen könnte einen Hinweis bieten, doch musste die Zuordnung zur Braunen, meist rillenverzierte rauwandige Drehscheibenware unsicher bleiebn (Schreg 2006, 121).
Randformen
ausgebogene Ränder mit einfacher gerundeter Randlippe
bisweilen auch schräg nach außen abgestrichen. Teilweise ist der Rand sehr scharfkantig ausgeknickt.
Bei den Funden aus dem Renninger Becken wurde diese Form als Randform 36 klassifiziert (Schreg 2006, 121). Beispiele sind von der nördlichen Alb und dem mittleren Neckarland bekannt, so aus Urspring, Breiter Weg, vom Runden Berg, aus Holzgerlingen, Herrenberg, der Wüstung Sülchen, Nagold, Stammheim, Schlössle, Ditzingen, Gerlingen, Herbolzheim und Lauffen am Neckar. Anzugliedern sind vielleicht auch Funde aus Kirchheim u. T., Flacht und von der Burg St. Ruprecht südlich Erbstetten. Weitläufiger vergleichbar sind Randformen der sog. Kammstrichware, der nachgedrehten Keramik aus Rottweil, aber auch der rauwandigen Drehscheibenware aus Bruchsal, aus dem Raum Mannheim und aus der Pfalz.
Wulstränder
Die Wulstränder der braune, meist rillenverzierten rauwandigen Drehscheibenware sind im Unterschied zu den dicken, runden und halslosen Rändern, wie sei bei der rauwandigen Drehscheibenware römischer Tradition auftreten wesentlich zierlicher gebildet.
horizontal abgestrichene Ränder
bei Schalen
Chronologie
Der Beginn der ausgebogenen Ränder liegt wahrscheinlich bereits im 7. Jahrhundert, was das Vorkommen eines wohl nachgedrehten Topfes in Grab 362 des Gräberfeldes Kirchheim/ Ries zumindest wahrscheinlich macht. Leider war das Grab beraubt, so dass keine datierbaren Beigaben vorliegen und die Zugehörigkeit zur Bestattung letztlich fraglich bleibt. In dieselbe Richtung könnten Töpfe aus Bad Dürrheim und aus Grab 64 des Gräberfeldes von Esslingen-Sirnau deuten. Der Rand des Sirnauer Gefäßes scheint zwar stärker ausgebogen üblich, weist aber auf dem Bauch wiederum horizontale Rillen auf. In Wülfingen liegen einige der formal ähnlichen Scherben aus Ofen 2 vor, der geomagnetisch in die Zeit um 700 datiert wurde. Schließlich sind in Mühlhausen-Ehingen kammstrich- bzw. rillenverzierte Scherben zusammen mit einem spätmerowingerzeitlichen Eisensporn in der Verfüllung eines Grubenhauses abgelagert worden.
U. Gross datiert die Wulstränder ins fortgeschrittene 7. und ins 8. Jahrhundert. Er verweist auf Funde massiver Wulstränder aus der Wüstung Vöhingen bei Schwieberdingen und aus Neuhausen. Weitere Belege lassen sich vom Runden Berg beibringen. Hier lagen mehrere Scherben eines Gefäßes allerdings in einer wahrscheinlich ungestörten Pfostengrube, die der frühalamannischen Phase zugeordnet wird. Eine entsprechende Randform aus Wülfingen gehört dort zur nachgedrehten Ware der Gruppe A.
Den besten Anhaltspunkt bietet der Komplex von Neuhausen, der auch eine spätmerowingerzeitliche Scheibenfibel umfasst und bei dem ältere gelbe Drehscheibenware weitgehend fehlt, weshalb hier eine Datierung ins 7./8. Jahrhundert angenommen wird. Dieser Datierungsansatz könnte durch ein Gefäß aus einer jüngermerowingerzeitlichen Bestattung aus Fußgönheim in der Pfalz gestützt werden. Ähnliche Randformen liegen verschiedentlich im Rahmen der älteren gelben Drehscheibenware vor, wobei die horizontalen Rillen fehlen: z.B. Speyer, Vogelgesang, Seligenstadt (Lkr. Offenbach), Bad Nauheim (Wetteraukreis) (Nachweise s. Schreg 2006, 123). Die übergänge zu den Knollenrändern der Wieslocher Ware scheinen hier fließend (vgl. Schenk 1998, 65 f. [Typ 45]).
Verbreitung
Verbreitungskarte: Schreg 2006, 125 Abb. 43
wichtige Fundorte
- Renningen, Neuwiesenäcker: Im Renninger Becken ist die braune, meist rillenverzierte rauwandige Drehscheibenware weitgehend auf die Siedlung in den Neuwiesenäckern und hier insbesondere auf deren Westteil (Flur Dämpfel) beschränkt. Dort ist auch ältere gelbe Drehscheibenware des Typs Kirchhausen überdurchschnittlich häufig (Schreg 2006).
Herstellungsbelege
m.W. bislang nicht vorhanden
Kulturgeschichtliche Einordnung und sozialer Kontext
Neben dem Formenbestand unterscheidet auch der Rillendekor die braune rauwandige Drehscheibenware von derjenigen Donzdorfer Art, die allenfalls einfache Rillen, niemals aber ganze Rillengruppen kennt. Anders als bei den z. T. ebenfalls mit Horizontalrillen verzierten Töpfen der Kammstrichware Burgheimer Art ist der Rillendekor nicht flächig, sondern beschränkt sich, soweit erkennbar, auf einen kleinen Bereich auf der Schulter der Gefäße. Ein eng beschränktes Formenspektrum und eine recht einheitliche Scherbenbeschaffenheit lassen es zu, diese offenbar nicht nur in Renningen, Neuwiesenäcker vertretene Gruppe als Warenart zu definieren, die vorerst als „braune, meist rillenverzierte rauwandige Drehscheibenware“ bezeichnet werden soll. In der Literatur werden die Funde bislang unterschiedlichen Warenarten zugewiesen, so dass es ohne Autopsie schwer ist, die Funde sicher zu beurteilen. Vergleichbare Keramik aus Holzgerlingen und Stammheim zählte Gross zur älteren gelben Drehscheibenware, während er sie in der Wüstung Raistingen bei Herrenberg zur rauwandigen Drehscheibenware rechnete.
In Urspring, Breiter Weg fasste sie Maier mehrheitlich in seinem Typ 1 der älteren gelben Drehscheibenware zusammen, obgleich er einräumte, dass sie „eigentlich einen weiteren Typ der rauwandigen Drehscheibenware“ darstelle. Für eine Reihe von Scherben aus Esslingen, St. Dionysius die Lobbedey der älteren gelben Drehscheibenware zugerechnet hatte, hat bereits Gross eine Zugehörigkeit zur späten rauwandigen Drehscheibenware vermutet. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Randformen, die sich in das Spektrum der hier besprochenen braunen, meist rillenverzierten rauwandigen Drehscheibenware einfügen. Darüber hinaus könnten noch weitere Scherben dieser Gruppe zuzurechnen sein. Auch einige Funde der [[Kammstrichware (bayer. Donauraum, FMa)|Kammstrichware] mag man zur braunen, meist rillenverzierten rauwandigen Drehscheibenware ziehen. Die braune, meist rillenverzierte rauwandige Drehscheibenware zeigt enge Verwandtschaft mit der Kammstrichware. Sie schließt die Lücke, die bislang zwischen der „Ostgruppe“ und den Vorkommen an Donau und Oberrhein bestand (Schreg 2006, Abb. 43). Sie bildet gewissermaßen eine regionale, scheibengedrehte Variante der Kammstrichware in einem Gebiet, das während der späten Merowingerzeit von der in einer römisch-fränkischen Tradition stehenden rauwandigen Drehscheibenware bestimmt war. Hinweise auf eine Produktion liegen aus Neuhausen vor. Noch sind zu wenige Fundkomplexe bekannt, um ihr chronologisches Verhältnis zur übrigen rauwandigen Drehscheibenware sicher zu bestimmen. Gross dachte bei der Vorlage der Funde aus Neuhausen an ein zeitliches Nacheinander, verwies aber zugleich darauf, dass sie wohl noch in die Zeit vor Einführung der älteren gelben Drehscheibenware gehören. Daraus würde sich ein Datierungsansatz spätestens ins 9. Jahrhundert ergeben, da von den vereinzelten Funden des Typs Kirchhausen abzusehen sein dürfte. Sollte die Zuweisung der Esslinger Funde zur braunen, meist rillenverzierten rauwandigen Drehscheibenware zu Recht bestehen, so ergibt sich aus dem stratigraphischen Kontext eine Zuweisung zur Phase St. Vitalis II, die etwa ins späte 9. Jahrhundert zu datieren ist. Man wird dies nur als Terminus ad quem auffassen dürfen, da die wenigen Anknüpfungspunkte an Grabkeramik des 7. Jahrhunderts und der Spielraum, den der stratigraphische Befund in Rottweil ebenso wie die Laufzeit der verwandten Kammstrichware bieten, es offen lässt, ob entsprechende braune, meist rillenverzierte rauwandige Drehscheibenware nicht vielleicht auch noch länger produziert wurde.
Tabellarische Übersicht
Beschreibung | |
---|---|
Warenart | Braune, meist rillenverzierte rauwandige Drehscheibenware (Neckarland, FMa) |
Verbreitungsgebiet | Neckarland, mittlere und östliche Schwäbische Alb |
Datierung | 7.-9. Jh. |
Chronologie | interne Chronologie noch weitgehend unklar |
Herstellungstechnik | Drehscheibenware |
Brand | reduzierend |
Farbe | braun |
Härte | hart |
Oberfläche | rau, |
Verzierung | horizontale Rillen auf der Schulter/ unter dem Rand |
Magerung | Quarz, zum Teil sind aber auch Beimengungen aus Kalk, Schamotte oder rostbraunen Partikeln |
Magerungsdichte | stark, seltener mäßig oder schwach |
Gefäßformen | v.a. Töpfe, Schalen |
Verzierungen | |
nachgewiesene Produktionsorte |
Literaturhinweise
- Gross 1991: U. Gross, Mittelalterliche Keramik zwischen Neckarmündung und Schwäbischer Alb. Bemerkungen zur räumlichen Entwicklung und zeitlichen Gliederung. Forsch. u. Ber. Arch. Mittelalter Baden-Württemberg 12 (Stuttgart 1991).
- Gross 2002: U. Gross, Schwäbische Importe im hochmittelalterlichen Regensburg. Funde der Älteren, gelbtonigen Drehscheibenware aus der Engelburgergasse und dem Scheugässchen. Denkmalpfl. Regensburg 8, 1999/2000 (2002) 87–90.
- Gross 2008: U. Gross, Transitionen – Übergangsphänomene bei südwestdeutschen Keramikgruppen des frühen und hohen Mittelalters. In: S. Arnold/F. Damminger/U. Gross/C. Mohn, Stratigraphie und Gefüge. Beiträge zur Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit und zur historischen Bauforschung. Festschrift für Hartmut Schäfer zum 65. Geburtstag. Forsch. u. Ber. Arch. Mittelalter Baden-Württemberg 28 (Stuttgart 2008) 139–150. ISBN 978-3-8062-2209-8.
- Gross 2012: U. Gross, Keramikgruppen des 8. bis 12. Jahrhunderts am nördlichen Oberrhein. Zur Frage von Verbreitungsgebieten und Produktionsstätten. In: L. Grunwald/H. Pantermehl/R. Schreg (Hrsg.), Hochmittelalterliche Keramik am Rhein. Eine Quelle für Produktion und Alltag des 9. bis 12. Jahrhunderts. Tagung im Römisch-Germanischen Zentralmuseum, 6. bis 7. Mai 2011. RGZM-Tagungen 13 (Mainz 2012) 63–76.
- Kaschau 1976: B. Kaschau, Der Runde Berg bei Urach II. Die Drehscheibenkeramik aus den Plangrabungen 1967–1972. Heidelberger Akad. Wiss. Komm. Alemann. Altertumskde. Schr. 2 (Sigmaringen 1976).
- Lobbedey 1968: U. Lobbedey, Untersuchungen mittelalterlicher Keramik vornehmlich in Südwestdeutschland. Arb. Frühmittelalterforsch. 3 (Berlin 1968).
- Maier 1994: K. H. Maier, Eine mittelalterliche Siedlung auf Markung Urspring (Gemeinde Lonsee, Alb-Donau-Kreis). Materialh. Arch. Baden-Württemberg 23 (Stuttgart 1994).
- Schenk 1998: H. Schenk, Die Keramik der früh- bis hochmittelalterlichen Siedlung Speyer "Im Vogelgesang". Stiftung zur Förderung der Pfälzischen Geschichtsforschung. Reihe C, Archäologische Forschungen in der Pfalz 1 (Neustadt an der Weinstraße 1998).
- Schreg 2006: R. Schreg, Dorfgenese in Südwestdeutschland. Das Renninger Becken im Mittelalter. Materialh. Arch. Baden-Württemberg 76 (Stuttgart 2006).
Einzelnachweise
<references/>