Nachgedrehte Keramik: Unterschied zwischen den Versionen

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*[[nachgedrehte, grob gemagerte Keramik (Nordostbayern, FMa/ HMa)]] ("slawische Keramik")
 
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*[[gröbere nachgedrehte Ware (Unterfranken, HMa).]]
 
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*[[glimmerhaltige nachgedrehte Ware (Südbayern, FMa/ HMa)]]
 
*[[glimmerhaltige nachgedrehte Ware (Südbayern, FMa/ HMa)]]

Version vom 9. August 2022, 12:03 Uhr

Terminologie

Der Begriff “nachgedrehte Waren” fasst Warenarten zusammen, die nicht durch freies Drehen (Drehscheibenware), sondern durch unterschiedliche Treibtechniken hergestellt wurden (Rogier 2015, ?89?). Aufgrund dieser “negativen Definition” (vgl. Rogier 2011, 89) finden sich in der Literatur unter dem Begriff “nachgedrehte Waren” sehr unterschiedliche Handwerkstechniken. Vor allem in der Schweizer Literatur findet sich - nicht hundertprozentig synonym - der Begriff "überdreht". Eine mögliche Übersetzung ins Englische wäre - wenn auch wenig gebräuchlich - "turntable shaped".

Herstellungstechnik

In der Praxis wurden unterschiedliche Arten von drehbaren Unterlagen eingesetzt bis hin zu einer relativ langsamen handgetriebenen Töpferscheibe. In der Forschung hat man daher zwischen langsam und schnellaufend nachgedreht unterschieden. Diese Unterschiede an archäologischen Keramikfunden nachzuvollziehen, die meist zerscherbt und deren Oberfläche bei der Bodenlagerung oft angegriffen wurde, ist selten zweifelsfrei möglich. Zudem sind gerade bei den nachgedrehten Waren - trotz einer auf den ersten Blick großen formalen Ähnlichkeit - im Detail dann doch große regionale Unterschiede zu beobachten. Eine klare Differenzierung und Klassifikation innerhalb der nachgedrehten Waren ist daher sehr schwierig, ebenso wie eine klare Abgrenzung besonders qualitätsvoller “nachgedrehter Waren” gegenüber Drehscheibenware nicht immer einfach ist.

Forschungsgeschichte

Der Forschungsstand zu den nachgedrehten Waren ist relativ schlecht. Meistens fanden Scherben dieser Warenart im Rahmen von Aufarbeitungen von Fundkomplexen Erwähnung. Problematisch ist zudem der Gebrauch unterschiedlicher Termini in der Literatur wie u.A. “gewülstete Ware” (Lobbedey 1968, 26). Auch eine weitere Differenzierung z.B. in Albware oder Goldglimmerware wird nicht von allen Autoren vorgenommen, sodass mitunter unklar bleibt, wie der Begriff 'nachgedrehte Waren' jeweils zu verstehen ist.

Der Forschungsstand zu den nachgedrehten Waren ist insgesamt noch immer relativ schlecht. In Bayern gibt es einige wenige Fundvorlagen, deren typologischen Vergleiche punktuell zur Datierung dienen, aber das Gesamtphänomen der nachgedrehten Waren kaum beleuchten. Für Südwestdeutschland hat Uwe Gross 2020 eine knappe Übersicht versucht.

Ein wichtiger Beitrag zurm Kenntnis der nachgedrehten Ware stammt von Martin Rogier (2015), der sich von Seiten einer experimentellen Archäologie mit den Herstellungstechniken befasst hat.

Charakteristika

Gröbere nachgedrehte Waren: A Lauffen a.N. - B Unterregenbach. - C Urspring, graubeige kalkspatgemagerte nachgedrehte Ware. - D Urspring, rauhwandige nachgedrehte Ware.

Die Abgrenzung der nachgedrehten Waren von der Drehscheibenware ist oftmals problematisch, vor allem bei Wandscherben oder stark zerscherbtem Material. Daher ist eine Bestimmung oftmals nicht, oder nur im Ausschlussverfahren möglich. Folgende Merkmale können bei der Erkennung und Bestimmung nachgedrehter Keramik hilfreich sein:

  • Ausgeprägte Drehriefen, wie sie für Drehscheibenwaren typisch sind, fehlen, etwa auch sog. Drehschnecken am Boden. Drehrillen treten indes trotzdem auf, sie sind aber unregelmäßiger, weniger fein und variabler im Abstand.
  • Das Gefäßprofil ist unregelmäßiger als bei Scheibenware.
  • In Wandungsumbrüchen, etwa am Rand oder am Boden sind vereinzelt sanfte Fingerdruckspuren zu erkennen.
  • Nachgedrehte Waren weisen meist einen dickeren Rand auf, der durch das Ansetzen an das Gefäß entsteht.
  • Die Böden der Gefäße weisen häufig einen Abdruck auf, den die Drehachse der Unterlage hinterlässt. Die Formen dieser Achsnarbe (oder Bodenzeichen) sind vielfältig (Krähenfüße; Radkreuz; ...). Sie sind in Südwestdeutschland vom 11. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts geläufig. Dabei geht die Tendenz von großen, den ganzen Boden bedeckenden Zeichen hin zu kleineren Zeichen.

Im Gegensatz dazu ist handgemachte Ware potentiell unregelmäßiger und lässt oft Spuren des Aufwulstens oder Fingerdruckspuren erkennen.


Bei der Bestimmung in einem konkreten Fundkomplex können Scherben oft über sekundäre Merkmale (z.B. ausgeprägte Kalkmagerung bei der Albware) einer Warenart der nachgedrehten Keramik zugewiesen werden.

Die Bestimmung als nachgedrehte Keramik ist oft subjektiv und unterliegt besonders dem subjektiven Faktor der Erfahrung des jeweiligen Bearbeiters/ der Bearbeiterin.

Formenspektrum

v.a. Töpfe, gelegentlich Schalen

Besonders ist hier noch auf die spezielle Gefäßform der Hängetöpfe hinzuweisen, wie sie sich in der nachgedrehten Keramik von Wülfingen belegen lassen. Am Rand waren Ösen angebracht, die es ermöglichen, den Topf über das Herdfeuer zu hängen. Eine Scherbe aus Wülfingen mit einer Schutzklappe, die das Aufhängeseil vor Hitze schützt, findet bisher nur in Norddeutschland Vergleiche (Gross 1991e).

Chronologie

Die Chronologie der nachgedrehten Keramik des 9./10. Jahrhunderts ist weitgehend ungeklärt, hingegen sind zahlreiche Waren des 11./12. Jahrhunderts bekannt. In ihren Anfängen noch merowingerzeitliche nachgedrehte Waren, wie etwa die Kammstrichware mögen längere Laufzeiten besitzen als bisher angenommen und diese Lücke teilweise füllen (Ade-Rademacher 1993, 90 f.; Maier 1994). In Urspring wurde eine rauwandige nachgedrehte Ware ausgesondert, die noch ins frühe Mittelalter datiert und Anklänge an die spätmerowingerzeitliche rauwandige Drehscheibenware zeigt. Zugleich wurde hier eine weitere nachgedrehte Warenart, die graubeige nachgedrehte Keramik bestimmt, die in ihrer mangelnden Einheitlichkeit im Formenbestand jedoch fraglich erscheint (Maier 1994; Schreg 1996). Nachgedrehte Waren treten im Arbeitsgebiet im Zeitraum bis zum 13. Jahrhundert (Rogier 2015, 5) in unterschiedlichen Mengen und Ausprägungen auf.

Warenarten

Lokale Ausprägungen bestimmen das Bild der nachgedrehten Ware, die aber meist nur schwer gegeneinander abgrenzbar sind. Die einzelnen Keramiklandschaften sind bisher nur grob zu umschreiben (Gross 1991, 52 ff.). Am besten ist derzeit noch die sog. Albware definiert. Die Aufnahme verschiedener Regionalgruppen der nachgedrehten Ware hier in BaLISminK ist vielfach als Provisorium zu sehen, da die Gruppierungen künftig sicher modifiziert werden müssen. Es wird die Bezeichnung als Warenart bevorzugt, da sich hinter den regionalen Unterschieden mutmaßlich Kommunikationsbezüge stehen und sich teilweise längerfristige Traditionsstränge erkennen lassen.

Kulturgeschichtliche Einordnung und sozialer Kontext

Aufgrund ihrer vergleichsweise einfachen Herstellungstechnik kann angenommen werden, dass nachgedrehte Keramik im häuslichen Bereich hergestellt wurde (Rogier 2015, 5). Häufig sind Reparaturspuren festzustellen, was bei dieser wenig hochwertigen Keramik darauf hinweist, dass Ersatzbeschaffungen nicht jederzeit möglich waren und wohl eine saisonale Produktion üblich war.

Das gegenüber den wohl in professionellen Töpfereien hergestellten älteren Drehscheibenwaren verstärkte Auftreten seit dem Früh- und Hochmittelalter deutet auf Veränderungen in den Wirtschaftsstrukturen hin, ebenso wie auch die Ablösung durch die jüngere Drehscheibenware wohl auf veränderte Marktstrukturen zurückzuführen ist. Gleichwohl kann die nachgedrehte Keramiki nicht einfach als "Bauernkeramik" gewertet werden, da sie in verschiedenen Regionen auch auf hochadligen Burgstellen verwendet wurde (z.B. Burg Wittelsbach) oder Burg Hohenstaufen.

Literaturhinweise

  • Ade-Rademacher 1993: D. Ade-Rademacher, Die mittelalterlichen und neuzeitlichen Befunde und Funde der Veitsburg. In: D. Ade-Radenmacher/R. Rademacher. Der Veitsberg bei Ravensburg. Forsch. u. Ber. Arch. Mittelalter Bad.-Württ. 16 (Stuttgart 1993) 58-136.
  • Gross 1991: U. Gross, Mittelalterliche Keramik zwischen Neckarmündung und Schwäbischer Alb. Bemerkungen zur räumlichen Entwicklung und zeitlichen Gliederung. Forsch. u. Ber. Arch. Mittelalter Bad.-Württ. 12 (Stuttgart 1991).
  • Gross 1991a: U. Gross, Die Keramik-, Bein- und Metallfunde in dem gemauerten Schacht bei St. Peter und Paul. In: ,Hirsau St. Peter und Paul 1091-1991. Zur Archäologie und Kunstgeschichte. Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg 10,1 (Stuttgart 1991) 139–178.
  • Gross 1991e: U. Gross, Vom Versuch, einen tönernen Kochkessel nachzuahmen. Denkmalpfl. Bad.-Württ. 20, 1991, 120–123. - DOI: https://doi.org/10.11588/nbdpfbw.1991.3.13574
  • Gross 2020: U. Gross, "Nachgedrehte" Keramik in Südwestdeutschland - ein Überblicksversuch. Beiträge zur mittelalterlichen und neuzeitlichen Keramik in Südwestdeutschland (2020). - DOI: 10.11588/artdok.00006809
  • Guthnick 1985: E. Guthnick, Erkennungsmerkmale einer Gefäßherstellung auf langsamen und schnellen Drehscheiben an einzelnen Scherben. Ausgr. u. Funde 30, 1985, 1–5.
  • Lobbedey 1969: U. Lobbedey, Untersuchungen mittelalterlicher Keramik vornehmlich in Südwestdeutschland. Arb. Frühmittelalterforsch. 3 (Berlin 1968).
  • Losert 1993: Hans Losert, Die früh- bis hochmittelalterliche Keramik in Oberfranken. Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters. Beiheft 8 (Köln 1993). (ISBN: 9783792713235)
  • Maier 1994: H. Maier, Eine mittelalterliche Siedlung auf Markung Urspring (Gemeinde Lonsee, Alb-Donau-Kreis). Materialh. Arch. Bad.-Württ. 23 (Stuttgart 1994).
  • Rogier 2015: M. Rogier, Mittelalterliche nachgedrehte Keramik. Überlegungen zur Definition, Bestimmung und Interpretation am Beispiel Baden-Württemberg. Lehr- und Arbeitsmaterialien zur Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit (Tübingen 2015).
  • Schreg 1996: R. Schreg, [Rez.zu]: Maier 1994. Bayer. Vorgeschbl. 1996, 323–326.
  • Schreg 2006: R. Schreg, Dorfgenese in Südwestdeutschland. Das Renninger Becken im Mittelalter. Materialh. Arch. Bad.-Württ. 76 (Stuttgart 2006).
  • Schreg 2012: R. Schreg, Keramik des 9. bis 12. Jahrhunderts am Rhein. Forschungsperspektiven auf Produktion und Alltag. In: H. Pantermehl/L. Grunwald/R. Schreg (Hrsg.), Hochmittelalterliche Keramik am Rhein. Eine Quelle für Produktion und Alltag des 9. bis 12. Jahrhunderts. RGZM-Tagungen 13 (Mainz 2012) 1–19.