Formaufbau

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Im Wesentlichen lassen sich für die Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit drei Grundtechniken des Formaufbaus definieren. Hierbei muss prinzipiell zwischen handgemachter, nachgedrehter und scheibengedrehter Ware unterschieden werden. Die Entwicklung der einzelnen Grundtechniken des Formaufbaus orientieren sich dabei an einer chronologischen Reihenfolge und stellen ein erstes wichtiges Differenzierungsmerkmal zur Bestimmung einer Keramikscherbe dar.

Formaufbau

1. Handgemachte Ware

Den Anfang macht die handgemachte Ware, eine Töpfereitechnik, die sich durch ein Herstellungsverfahren ohne den Einsatz einer entwickelteren Töpferscheibe auszeichnet. Hierbei werden beispielsweise durch das Aufwülsten einzelner Tonwürste (Wülsttechnik) oder die sogenannte Plattentechnik Gefäße geformt, welche meist eine individuelle und ungleichmäßige Formgebung sowie Wandstärke aufweisen. Neben einzelnen Fingerabdrücken auf der Gefäßoberfläche lassen sich zudem im Scherben teilweise einzelne Tonwulste- oder platten erkennen.

2. Nachgedrehte Ware

Darstellung einer Drehscheibe aus dem Ständebuch des Jost Amman, 16. Jahrhundert

Als nächstes muss die nachgedrehte Ware (auch: überdreht/abgedreht) genannt werden, wobei sich grob zwei unterschiedliche Herstellungsverfahren beschreiben lassen. Einerseits können anhand der Positionierung auf einer drehbaren Unterlage, wie etwa einer handbetriebenen, nicht gleichmäßig und langsam laufenden Töpferscheibe, Gefäße beschrieben werden, welche von Hand aufgebaut und in den Randpartien partiell nachgearbeitet wurden („einfach nachgedreht“). Ganz eindeutige Kriterien lassen sich kaum benennen, es treten unregelmäßige Wandungspartien mit Fingerdruckspuren ebenso auf wie feine Drehspuren. Mehrfach kommen relativ dicke, aber gleichmäßige Randpartien mit deutlichen Drehspuren über einem grob gearbeiteten, relativ dünnwandigen Gefäßkörper als sichtbare charakteristische Merkmale vor. Andererseits beschreibt die sogenannte schnelllaufend nachgedrehte Ware aber auch Gefäße, die der echten Drehscheibenware sehr ähnlich sind, jedoch aufgrund eines nicht kontinuierlichen Produktionsvorgangs gewisse Unregelmäßigkeiten aufzeigen.

Häufig finden sich raue Druckspuren im Gefäßboden, die Abdrücke der drehbaren Unterlage darstellen. Seltener lassen sich sogenannte Bodenzeichen ausmachen, welche in Form eines Positiv- oder Negativabdrucks, entweder als ein Abdruck eines entsprechend gekerbten Drehscheibenkopfes oder auch als einzeln eingeschnittene Markierungen beschrieben werden können.

Bei der "nachgedrehte Ware" handelt es sich zusammenfassend also nicht um eine bestimmte Warenart, sondern um einen Sammelbegriff, der eine Vielzahl von keramischen Erzeugnissen mehrerer Jahrhunderte umfasst. Dabei ist die vor allem die Art der Herstellung das entscheidende Kriterium, denn nur anhand der beispielsweise vielfältig verwendeten Magerungsmittel oder einer recht unregelmäßigen Brandführung (oxidierend und reduzierend) kann keine eindeutige Zuweisung durchgeführt werden.

Möglicherweise kann die nachgedrehte Keramik als Erzeugnis bäuerlichen Nebenerwerbs betrachtet werden, welche sich neben der bereits qualitativ hochwertigeren grundherrschaftlich organisierten Keramikproduktion (Drehscheibenware) zu behaupten versuchte (Teilzeit-Spezialisten). Diese Theorie wird von Reparaturspuren an den Gefäßen, der weitaus geringeren Qualität und dem zu der Zeit vorherrschenden grundherrschaftlichen Hintergrund gestützt.

Die Herstellungstechnik der nachgedrehten Ware bildet zumindest eine mehrere Jahrhunderte umfassende entwicklungsgeschichtliche Zwischen- und Übergangsform, welche zur dritten und letzten Grundtechnik des Formaufbaus überleitet.


3. Scheibengedrehte Ware

Aufbau einer Schüssel auf der Drehscheibe

Die sogenannte scheibengedrehte Ware (echte Drehscheibenware) wird mit Hilfe einer schnell rotierenden, fuß- oder pedalbetriebenen Töpferscheibe hergestellt. Entscheidende Faktoren für ein erfolgreichen Hochziehen des Tones sind einmal die verwendete Drehscheibe, also der Stand der Technik sowie ein ausreichendes Drehmoment, um den Ton überhaupt hochziehen zu können. Bei diesem Verfahren wird der Tonklumpen auf einer Töpferscheibe gleichmäßig hochgezogen, wodurch eine einheitliche Wandung und Formgebung entsteht. Sofern keine Glättung der Oberfläche stattfindet, gruppieren sich an der Scherbenoberfläche feine gleichmäßige horizontale (auch spiralförmige) Drehrillen/Drehriefen, welche in Form von Rippen und Riefen auch häufig als Zierelement Anwendung fanden. Zuletzt können auf der Bodenunterseite häufig sogenannte Abdrehspuren in schlaufenartigen Linien beobachtet werden, die darauf zurückzuführen sind, dass die feuchten Gefäße mit einem Draht oder einer Schnur während des Drehens auf der Töpferscheibe „abgeschnitten“, also losgelöst, wurden.

4. Sonderformen und Mischtechnik

Als Sonderformen können schließlich noch gepresste oder gegossene Herstellungsverfahren angeführt werden. (...)

Auch: Mischtechnik (kombinierte Herstellungsverfahren "handgemacht" und "gedreht" z.B. bei Kugeltöpfen)

- Unterteil zumeist handgemacht - Oberteil zumeist gedreht

5. Nicht bestimmbar!

(...)

Zusammenfassung und Ausblick

Dennoch kann sich eine eindeutige zeitliche und regionale Differenzierung und Zuweisung des teils sehr fragmentarischen archäologischen Fundmaterials zu einer der genannten Grundtechniken als schwierig und riskant herausstellen. Hierbei muss nämlich auch berücksichtig werden, dass einerseits teils kombinierte Herstellungsverfahren angewendet wurden (z.B. Kugeltöpfe aus Norddeutschland) und andererseits auch immer Überarbeitungsspuren (z.B. Beschneidungen, Facettierungen) vorhanden sein können.

Auf Basis der vorgestellten Grundtechniken des Formaufbaus waren die Töpfer/Hafner letztlich in der Lage ein breites Spektrum keramischer Gefäßformen zu produzieren. Zu den charakteristischen mittelalterliche- und neuzeitliche Gefäßformen können beispielsweise hohe Typen, wie Töpfe, Krüge, Kannen, Flaschen und Becher, aber auch flache Formen, wie beispielsweise Schüsseln und Schalen sowie Teller zugeordnet werden. Hierbei muss jedoch auch berücksichtigt werden, dass forschungsgeschichtlich bedingt zahlreiche unterschiedliche Bezeichnungen für Gefäßformen innerhalb der Archäologie kursieren, die häufig in Abhängigkeit von chronologischen und regionalen Aspekten oder auch je nach Warenart ähnliche Gefäßtypen definieren.

Einzelnachweise

  • Bachfischer/Jarczok 2014 (ISBN: 9783863620257 )

Margit Bachfischer und Reinhard Jarczok, Töpfer und Hafner. Wie der Töpfer dreht, so formt sich der Ton. In: Reinhard Jarczok (Hrsg.), Alte Handwerkskunst. Aus Liebe zum Landleben (München 2014) 142-147.

  • Bauer 2005 (ISBN: 9783927806320 )

Ingolf Bauer [u.a.], Leitfaden zur Keramikbeschreibung. Mittelalter - Neuzeit. Terminologie - Typologie - Technologie (München 2005).

  • Böttcher 1990

Gudrun und Gunter Böttcher, Herstellung mittelalterlicher Töpferwaren im Museumsdorf Düppel. In: Mamoun Fansa (Hrsg.), Experimentelle Archäologie im Museumsdorf Düppel. Neues aus dem Mittelalter (Oldenburg 1990) 34-40.

  • Gross 1991 (ISBN: 3806208638 )

Uwe Gross, Mittelalterliche Keramik zwischen Neckarmündung und Schwäbischer Alb. Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg 12 (Stuttgart 1991).

  • Gross 2003 (ISBN: 9783806208634 )

Uwe Gross, Neuzeitliche Keramik im nördlichen Baden (16.-19.Jhd.). Ein Überblicksversuch anhand ausgewählter Fundkomplexe (Heidelberg 2003).

Uwe Gross, Transitionen. Übergangsphänomene bei südwestdeutschen Keramikgruppen des frühen und hohen Mittelalters. In: S. Arnold, F. Damminger, U. Gross und C. Mohn (Hrsg.), Stratigraphie und Gefüge. Beiträge zur Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit und zur historischen Bauforschung. Festschrift für Hartmut Schäfer zum 65. Geburtstag (Esslingen 2008) 139-150.

  • Gross 2009 (ISBN: 978-3-927714-97-7)

Uwe Gross, Drehscheibenware des frühen und hohen Mittelalters in Ulm. In: Uwe Gross, Aline Kottmann und Jonathan Scheschkewitz (Hrsg.), Frühe Pfalzen – Frühe Städte. Neue Forschungen zu zentralen Orten des Früh- und Hochmittelalters in Süddeutschland und der Nordschweiz. Ergebnisse eines Kolloquiums am 28. und 29. April 2009 im Rathaus zu Ulm. Informationen aus Baden-Württemberg Heft 58 (Stuttgard 2009) 51-58.

  • Hamer 1990 (ISBN: 3804326684 )

Frank und Janet Hamer, Lexikon der Keramik und Töpferei. Material - Technik - Geschichte (Augsburg 1990).

  • Kluge-Pinsker 2001 (ISBN: 3892795754)

Antje Kluge-Pinsker, Produktion und Verbrauch von Keramik im mittelalterlichen Duisburg des 9.-10. Jahrhunderts (Duisburg 2001).

  • Kröll 2012 (ISBN: 9783867579612 )

Karola Kröll, Die frühneuzeitliche Gefäßkeramik der Lüneburger Töperei "Auf der Altstadt 29". Mit einem Beitrag von Julian Wiethold. In: Edgar Ring (Hrsg.), Archäologie und Bauforschung in Lüneburg. Band 8 (Rahden/Westf. 2012).

  • Lobbedey 1968

Uwe Lobbedey, Untersuchungen mittelalterlicher Keramik vornehmlich aus Südwestdeutschland. Arbeiten zur Frühmittelalterforschung 3 (Berlin 1968).

  • Losert 1993 (ISBN: 9783792713235 )

Hans Losert, Die früh-hochmittelalterliche Keramik in Oberfranken. Band 1. Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters. Beiheft 8 (Köln 1993).

  • Löw 2001 (URN: nbn:de:bvb:473-opus-589)

Luitgard Löw, Keramik des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit in Oberfranken (Bamberg 2001).

  • Lüdtke/Schietzel 2001 (ISBN: 352901818X)

Hartwig Lüdtke und Kurt Schietzel (Hrsg.), Handburch zur mittelalterlichen Keramik in Nordeuropa. Schriften des Archäologischen Landesmuseums Band 6. Mit Beiträgen von Alfred Falk, Torsten Kempke, Uwe Lobbedey [u.a.] (Neumüster 2001).

  • Mielke 2008 (ISBN: 9783406568237 )

Heinz-Peter Mielke, Töpfer. In: Reinhold Reith (Hrsg.), Das alte Handwerk. Vom Bader bis Zinngießer (München 2008) 230-234.

  • Rogier 2015 (ISBN: 9783980653336 )

Martin Rogier, Mittelalterliche nachgedrehte Keramik. Überlegungen zur Definition, Bestimmung und Interpretation am Beispiel Baden-Württemberg (Hohentübingen 2015).

  • Saal 2012 (ISBN: 978-3-88467-191-7)

Eveline Saal, Gefäßbeigabe: (K)ein Auslaufmodell. Beispiele zu Spätmerowingisch-frühkarolingischen Keramikgefäßen aus dem Gräberfeld von Rhens am Mittelrhein. In: H. Pantermehl, L. Grunwald und R. Schreg (Hrsg.), Hochmittelalterliche Keramik am Rhein. Forschungsperspektiven auf Produktion und Alltag. Tagungen des RGZM 13 (Mainz 2012) 179-190.

  • Sanke 2002 (ISBN: 9783805328784 )

Markus Sanke, Die mittelalterliche Keramikproduktion in Brühl-Pingsdorf. Rheinische Ausgrabungen 50 (Mainz 2002).

  • Schreg 1999 (ISBN: 9783980653305 )

Rainer Schreg, Keramik aus Südwestdeutschland. Eine Hilfe zur Beschreibung, Bestimmung und Datierung archäologischer Funde vom Neolithikum bis zur Neuzeit. In: Barbara Scholkmann (Hrsg.), Lehr- und Arbeitsmaterialien zur Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit³ (Tübingen 1999).

  • Schreg 2012 (ISBN: 978-3-88467-191-7)

Rainer Schreg, Keramik des 9. bis 12. Jahrhunderts am Rhein. Forschungsperspektiven für Produktion und Alltag. In: H. Pantermehl, L. Grunwald und R. Schreg (Hrsg.), Hochmittelalterliche Keramik am Rhein. Forschungsperspektiven auf Produktion und Alltag. Tagungen des RGZM 13 (Mainz 2012) 1-19.

  • Schreg 2016 (ISBN: 978-3-534-26811-5 )

Rainer Schreg, Quellenanalyse. Bestimmung von Funden. Keramik. In: Barbara Scholkmann, Hauke Kenzler u. Rainer Schreg (Hrsg.), Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit. Grundwissen (Darmstadt 2016).

  • E. Krause, Über die Herstellung vorgeschichtlicher Tongefäße; In Zeitschrift für Ethnologie. Ausgabe 34 (1902), S. (409) ff; 35.