Ältere graue Drehscheibenware (Kraichgau/ Oberrhein, HMa)
Die durch zylindrische, gerippte (geriefte) Hälse und einen horizontal abgestrichenen Rand (Typ Stetten) gekennzeichnete, meist dunkelgraue, meist mittelgrob gemagerte Warenart ist vor allem im nördlichen Neckarland bis in den Speyrer Raum verbreitet. Sie datiert ins 11. bis 12. Jahrhundert, ihre Anfänge scheinen allerdings weiter zurück zu reichen, da sich teilweise Formen und Verzierungen finden, die noch mit der Frühphase der älteren gelben Drehscheibenware vergleichbar sind.
Forschungsgeschichte
Funde der grauen Oberrheinischen Drehscheibenware wurden bereits in den 1960er Jahre von Uwe Lobbedey beschrieben. Damals hat Robert Koch aus dem Raum Heilbronn einige Funde vorgelegt und dabei auch den Typ Stetten definiert. Seitdem sind bei einigen Fundpublikationen weitere wichtige Beobachtungen gemacht worden, beispielsweise in Vaihingen/Enz, Ladenburg und Speyer, Vogelgesang. Eine Synthese des Forschungsstands zu Beginn der 1990er Jahre hat Uwe Gross geliefert. Anläßlich der Bearbeitung der Funde aus Renningen, Neuwiesenäcker entstand eine neue Zusammenschau der Ware (Schreg 2006, 126ff.). Hier ist die Ware als Gruppe 8 der Keramikfunde von Renningen geführt. Etwas aus dem Blick blieb dabei der südliche Oberrheim sowie die Basler Region, wo 1079 Werner E. Stöckli im Anschluß an zwei vollständig in der Kirche von Kleinlützel aus dem Raum Basel zahlreiche Töpfe mit Linsenboden, Schulterriefung und schmalem Karniesrand zusammengestellt hat, die er der gerieften grauen Drehscheibenware anschloß und als "graue Basler Töpfe" bezeichnete (Stöckli 1979). Stöckli griff hier unter anderem auf Funde von Basel, Petersberg zurück und führte auch die Münzschatzgefäße von Niederbipp und Holderbank (Kt. Solothurn), Alt-Bechburg an, die ins 12. Jahrhundert datieren.
andere Bezeichnungen
- geriefte graue Drehscheibenware
- graue oberrheinische Drehscheibenware
- graue geriefte oberrheinische Drehscheibenware
- graue Basler Töpfe (Stöckli 1979)
Der von U. Lobbedey verwendete Begriff der grauen gerieften oberrheinischen Drehscheibenware ist heute außer Gebrauch, da Riefung auch bei der klassischen jüngeren Drehscheibenware geläufig ist (Koch 1967; Koch 1970; Gross 1991,49 ff.) und umgekehrt bei der älteren grauen Drehscheibenware die Riefung nicht zwingend vorhanden ist. Der in der französischen Forschung gebräuchliche Begriff der 'céramique grise cannelée' umfaßt somit auch weite Teile der jüngeren Drehscheibenware, für die im unteren Neckarland und am nördlichen Oberrhein auch später eine Riefung der Wandung charakteristisch ist (Henigfeld 1997). Lobbedey hatte die ältere graue Drehscheibenware in den Kontext der jüngeren Drehscheibenware gestellt. Die heutige Bezeichnung als ältere graue Drehscheibenware ist relativ zu den spätmittelalterlichen jüngeren Drehscheibenwaren zu sehen, ob Lobbedeys Konzept der älteren Drehscheibenware bei der Umbenennung eine Rolle spielte, ist forschungsgeschichtlich noch zu klären.
Charakteristika
Herstellungstechnik
Drehscheibenware
Brand/ Farbe
oftmals spöde bzw. weich, dunkelgrau bis schwarz, selten fast hellgrau
Magerung
mittel bis mittelgrob Ansatzweise ist eine feiner und einer gröber gemagerte Variante zu differenzieren.
Oberflächenbeschaffenheit
sandig
Verzierungen
An Verzierungen treten vereinzelt Rollstempel mit einfachen Rechtecken auf. Eine Ausnahme bilden Funde aus einem Brunnen der Wüstung Muffenheim bei Rastatt, wo in der Verfüllung eines 2001 entdeckten Brunnens Scherben einer (?) Doppelhenkelkanne aus feinem grauem Ton gefunden wurden, die mit einem Rollstempel aus liegenden, ineinandergreifenden „S”-förmigen Elementen verziert sind, die als das Muster des laufenden Hundes ergeben. Solche Verzierungen sind ansonsten von der orangen Straßburger Drehscheibenware bekannt (Gross 2003).
Varianten
Eng verwandt ist die orangefarbene Straßburger Ware, die sich im Oberrheintal südlich von Straßburg findet. Charakteristisch ist hier die Stempelverzierung mit 'laufendem Hund'. Im Unterelsaß nördlich Straßburg tritt eine diese Verzierung jedoch auch auf grauer Drehscheibenware auf (Gross 2003, 30f.). Ältere graue Drehscheibenware Elsässer Art (Gross 2019, 5) aus dem nordelsässer Raum um Soufflenheim zeigt große Ähnlichkeit mit der Elsässer Variante der älteren gelben Drehscheibenware mit ihrem feintonigen bis kreidigen Scherben (Châtelet u.a. 2005). Ein umfangreicher Bestand ist aus der Wüstung Muffenheim bei Rastatt bekannt (Gross 2016). In Baden-Württemberg konzentrieren sich die Fundplätze in unmittelbarer Rheinnähe südlich von Karlsruhe bis in die Ortenau im Süden, doch sind auch Funde aus der Wüstung Zimmern bei Stebbach bekannt, was auf weitere bisher unbekannte Vorkommen. Ältere graue Drehscheibenware Elsässer Art schien in Baden-Württemberg bislang auf Fundplätze in unmittelbarer Rheinnähe beschränkt zu sein, und zwar auf die Landstiche . Das mit weitem Abstand größte Fundaufkommen liegt in der . Es ist analog zum Auftreten der optisch sehr viel auffälligeren Rotbemalten Elsässer Ware weit östlich des Oberrheins aber sicherlich davon auszugehen, daß auch sie – derzeit noch unerkannt- zumindest vereinzelt dorthin gelangte. In Frage kommen Orte, von denen Ältere graue Drehscheibenware vorliegt, wie etwa Bietigheim, die Wüstung Vöhingen bei Schwieberdingen oder Renningen, Neuwiesenäcker. Eine Datierung in das 10./12. Jahrhundert ergibt sich aus den identischen Randformen (Gross 2008, 146 Abb. 6).
Im Raum Mannheim tritt als Variante die Ältere braune Drehscheibenware (Neckarmündungsgebiet, HMa) auf (Gross 2012).
Gefäßformen
Das Formenspektrum besteht überwiegend aus Töpfen, aber auch Kannen. Die bauchigen Gefäße besitzen Linsen- oder seltener Standböden. Linsenböden überwiegen gegenüber Standböden sehr deutlich (anders als bei später „westlicher“ Älterer gelber Drehscheibenware).
Randformen
Typisch sind Wulstränder mit einem zylinderförmigen gerieften Hals, die R. Koch (1967) anhand von Funden aus Stetten am Heuchelberg umschrieben hatte und die demnach in der Literatur bisweilen als Typ Stetten bezeichnet werden. Bisweilen wurden sie auch als Kragleistenrand bezeichnet(z.B. Caroll-Spillecke 1999, S. 50). Unverdickte Schrägränder und Ränder mit schmalem unprofiliertem Hals vertreten eine frühere Ausprägung; weit ausgezogene, leistenartige Randbildungen, wie sie in dem im späten 12. Jahrhundert verfüllten Schacht in Hirsau, Kloster St. Peter und Paul vorhanden sind, bilden eine späte Form (Grass 1991a, 139 ff.). Hier findet sich dann auch eine Riefung, wie sie für die spätmittelalterlichen Drehscheibenware typisch wird.
- Typ Stetten: zylindrisch, gerippter (gerieftre) Hals mit horizontal abgestrichenem Rand
- ausgebogene Ränder
- leicht ausgebogener, oben abgeplatteter Rand ohne ausgeprägte Randverdickung und ohne deutliche Halsbildung
- deutlich ausgeprägter zylindrischer Hals, aber nur eine leichte wulstartige Randlippe
- horizontal abgestrichener steiler Rand über ungerieftem Hals
- keulenartig verdickter Rand
- schmaler ausgebogener, oben bisweilen horizontal abgestrichener Karniesrand. Die Randform wurde von Stöckli 1979 ausgehend von Funden aus der Kirche von Kleinlützel beschrieben und könnte - das sei hier vorgeschlagen - als Typ Kleinlützel bezeichnet werden.
Chronologie
Die ältere graue Drehscheibenware datiert überwiegend ins 11./12. Jahrhundert. Die Anfänge sind noch unklar. Mit den ausgebogenen Rändern sind also wohl Vorläufer des Typs Stetten zu fassen. Gross hatte schon vor Jahren aufgrund von Formentsprechungen zur älteren gelben Drehscheibenware und jüngst durch die Fundkombination von Rändern der Form 40 mit dem Typ Runder Berg in einer Grube der Wüstung Böllingen bei Heilbronn einen Beginn noch vor der Jahrtausendwende postuliert. Auch der horizontal abgestrichene steile Rand über einem ungerieftem Hals dürfte in die Frühzeit gehören, tritt er doch ab dem 9. Jahrhundert auch bei der älteren gelben Drehscheibenware auf.
Funde vom Typ Stetten liegen aus Jagstfeld und Stetten a. H. vor, wo sie jeweils mit älterer gelber Drehscheibenware des Typs Jagstfeld kombiniert waren. Zur Festlegung des zeitlichen Endes der älteren grauen Drehscheibenware argumentiert Gross mit ihrem Fehlen in den ältesten Befunden in Stammheim und Eschelbronn, die jeweils in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts datieren. In Vaihingen/Enz und Durlach ist ältere graue Drehscheibenware in Schichten der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts durchaus noch in größerer Zahl vorhanden, wobei eine Verlagerung aus älterem Kontext fraglich bleibt. Man wird wohl mit einem Fortdauern der älteren grauen Drehscheibenware bis ins späte 13. Jahrhundert rechnen müssen. Die Töpferei von Binau [Neckar-Odenwald-Kreis) deutet eine regionale Weiterentwicklung der älteren gelben Drehscheibenware an, denn hier lassen die Produkte einer reduzierend aber auch oxidierend gebrannten jüngeren Drehscheibenware aus dem 13./14. Jahrhundert etwa mit dem Fortbestand von Linsenböden eine Traditionslinie erkennen (Gross 1999).
Ränder des Typs Kleinlützel - schmale, bisweilen oben horizontal abgestrichene Karniesränder - lassen sich etwa durch das Münzschatzgefäß von Niederbipp (Kt. Bern) um 1175-90 einordnen.
Verbreitung
Das Hauptverbreitungsgebiet liegt im Kraichgau,wo es sich an den meisten Fundplätzen um die dominierende Warenart handelt, In Renningen scheint es sich um Importmaterial zu handeln. Rechtsrheinisch im Norden über den Kraichgau hinaus bis nach Mannheim stark vertreten, nicht mehr dagegen im unmittelbar benachbarten Südhessen (fehlt in Zullestein, Lorsch).
Varianten
Inzwischen zeichnet sich die Möglichkeit einer Ausdifferenzierung einer´feineren Variante ab, die man mit einer Produktion im Elsass in Verbindung bringt und die als ältere graue Elsässer Ware bezeichnet wird.
Am südlichen Oberrhein und insbesondere im Raum Basel zeigt sich mit den grauen Basler Töpfen mit Rändern des Typs Kleinlützel eine regionale Variante.
Im Neckarmündungsgebiet ist die Ältere braune Drehscheibenware (Neckarmündungsgebiet, HMa) vertreten.
wichtige Fundkomplexe
u.a.
- Cleebronn, Wüstung Balzhofen (Fundber. Bad.-Württ. 22/2, 1998, 232)
- Cleebronn, Wüstung (Nieder-)Ramsbach (Fundber. Bad.-Württ. 22/2, 1998, 232)
- Durlach, Turmberg
- Hirsau, Kloster St. Peter und Paul: insbesondere Verfüllung eines Schachtes aus dem späten 12. Jahrhundert
- Holderbank (Kt. Solothurn), Alt-Bechburg
- Horrenberg (Gde. Dielheim, Rhein-Neckar-Kreis); Burg Horrenberg (Fundber. Bad.-Württ. 22/2, 1998, 233)
- Ladenburg, Kellereiplatz
- Niederbipp (Kt. Bern)
- Sandhausen, Heidelberger-Straße/Ecke Hauptstraße (Fundber. Bad.-Württ 22/2, 1998, 275f.)
- Speyer, Vogelgesang (Wüstung Winternheim)
- Stetten am Heuchelberg
- Renningen, Neuwiesenäcker
- Vaihingen/Enz, St. Peter
- Wüstung Muffenheim bei Rastatt
- Wieblingen (Stadt Heidelberg) (Fundber. Ba,-Württ 22/2, 1998, 244f.)
- Wiesloch, Wüstung Frauweiler
Herstellungsbelege
- Bad Schönborn-Langenbrücken (Gross 1991, Taf. 31) zusammen mit Kugeltöpfen)
- Collenberg, Kirschfurter Höfe (Baumhauer 2003, Kat.Nr. 219)
- Weiler an der Zaber (Hinweis U. Gross - in Bearbeitung durch LAD Esslingen)
Die Töpferei von Binau [Neckar-Odenwald-Kreis) produzierte im 13./14. Jh. eine jüngere Drehscheibenware teils mit Karniesrandbildungen, die jdoch Anklänge an die Ältere graue Drehscheibenware zeigt.
Kulturgeschichtliche Einordnung und sozialer Kontext
Literaturhinweise
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- Gross 2003: U. Gross, Funde bislang unbekannter hochmittelalterlicher rollstempelverzierter Keramik aus der Wüstung Muffenheim, Gemarkungen Ottersdorf und Plittersdorf, Stadt Rastatt. Arch. Nachr. Baden 67, 2003, 30–36.
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- Schneid 1988: I. Schneid, Früh- und hochmittelalterliche Keramik aus Ladenburg a.N., Rhein-Neckar-Kreis. Das Material der Grabungen an der Realschulstraße und am Kellereiplatz (Würzburg 1988).
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