Handgemachte Keramik

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Als handgemacht wird Keramik bezeichnet, die ohne Nutzung einer Töpferscheibe oder drehbaren Unterlage in Wulst- oder Plattentechnik von Hand aufgebaut wird. Der Begriff ist also nicht als Gegensatz zu "industriell gefertigter" Keramik gedacht, sondern ist eher als "handgeformte Keramik" zu verstehen. Verschiedene Autoren haben daher den Begriff der "freigeformten Keramik" bevorzugt.

In Bezug auf den Formaufbau werden in der Kermikforschung der Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit von der handgemachten Ware die nachgedrehte Ware sowie die Drehscheibenware differenziert.


Forschungsgeschichte

Handgemachte Keramik gilt in vielen Regionen als "primitiv" und ist häufig in fragwürdige ethnische Interpretationen verstrickt. Dabei bleibt zweierlei unberücksichtigt: 1.) Sehr viele Waren vorgeschichtlicher Zeit, die überwiegend hergestellt wurden sind alles andere als primitiv sondern technisch wie künstlerisch ausgesprochen qualitätvoll. Falsch ist auch die Annahme eines fortschreitenden Qualitätsfortschritts, wie beispielsweise der Blick auf die neolithische Keramik in Süddeutschland lehrt. Die Keramik der frühneolithischen Linearbandkeramik ist vielfach ausgesprochen dünnwandig und fein gearbeitet, während im Jung- und Spätneolithikum in Scherbenbeschaffenheit wie Formgebung sehr grobe Keramik (z.B. Horgener Kultur) auftritt. 2.) Das Grundprinzip einer Verbindung materieller Kultur mit bestimmten Ethnien vereinfacht die Problematik der ethnischen Interpretation und der Ethnizität über Maßen.

Beispielhaft sei hier auf die handgemachte Keramik verwiesen, die in kolonialen Kontext der frühen Neuzeit in Lateinamerika auftritt. Am Beispiel der handgemachten Keramik aus Panama ("Panamanian handmade coarse earthenware") konnten die vielfältigen Formtraditionen aufgezeigt werden, die eindeutigen Zuweisungen zuwider laufen (Schreg 2010; Schreg 2015a). Die Forschung hat diese handgemachte Keramik als indigen oder "Afro-American" oder als "criollo" verstanden, was interessanterweise die politische Entwicklung wie etwa das Black Movement in den USA widerspiegelt. Tatsächlich erweisen sich Traditionen und Bedeutungszuschreibung als so komplex, dass letztlich indigene Keramik für einen spanischen Habitus stehen kann (Schreg 2015b).

Die Assoziation frühmittelalterlicher handgemachter Keramik mit "germanischen" Traditionen ist auch deshalb falsch, weil es auch in römischem Kontext durchaus handgemachte Keramik gab (z.B. Flügel 1996) und handgemachte Keramik beispielsweise auch im Westen Frankreichs produziert wurde (Dubillot/ Valais 2006).

Südwestdeutschland

Schon in der frühen Merowingerforschung waren bei den Ausgrabungen im Gräberfeld von Selzen handgemachte Gefäße aufgefallen und von Ludwig Lindenschmit ethnisch interpretiert worden (Lindenschmit/ Lindenschmit 1848). Angesichts der nach schriftlichen Quellen um 500 einsetzenden fränkischen Besiedlung datierte er die handgemachten Gefäße früher und hielt sie für alamannisch (Lindenschmit/ Lindenschmit 1848). Diese Fragestellung nach einer ethnischen Zuweisung durchzieht die Forschung seitdem. In der Regel standen im Hintergrund historische Paradigmen, jedoch weniger nachvollziehbare typologische und stilistische Vergleiche. Diese wurden vor allem sei den späten 1980er Jahren erarbeitet (Wieczorek 1989). Wieczorek unterschied im Fundestand aus Rheinhessen handgeformte Imitationen der zeitgenössischen Drehscheibenkeramik, handgeformte Keramik allgemein "elbgermanischer" Formgebung, hendgeformte Keramik "nordseegermanischer" oder "böhmischer" Formentradition; hendgeformte Keramik "mitteldeutscher" Formentradition sowie solche unbekannter Formentradition. Wichtig sind diesbezüglich auch die Arbeiten von Helga Schach-Dörges, die zunächst die Funde in Nordostdeutschland (Schach-Dörges 1970) bearbeitet und sich später mit dem "alamannischen" Material auseinandergesetzt hat. Sie konnte in einem eher allgemeinen Beitrag zum Katalog der Stuttgarter Alamannen-Ausstellung 1997 eine Synopse präsentieren (Abb.).

Verzierte Siedlungs- und Grabkeramik frühalamannischer Zeit im Vergleich mit elbgermanischen Fundplätzen (nach Schach-Dörges 1997): 1 Sanne, 2 Kahrstedt, 3 Merseburg, 4-6 Pritzier; 7 Ichstedt, 8 Voigtstedt, 10-11 Kirchheim u.T., 12 Mengen, 13 Sontheim i.St., 14 Großkuchen, 15 Heidelberg-Rohrbach, 16 Berching-Pollanten, 17 Dederstedt, 18 Wechmar, 19 Bad Dürrenberg, 20 Merseburg, 21 Besno n. Louny, 22 Haßleben, 23 Kannawurf, 24 Bietigheim, 25 Benningen a.N., 26-27 Rendel, 28 Großkuchen, 29 Groß-Gerau, 30 Günzburg. 1-19, 24-26 'Schalenurnen', 20,27 gewölbte Schalen, 21-23, 28-30 Flaschen (nach Schach-Dörges 1997).

Charakteristika

Kennzeichnend sind eine ungleichmäßige Form bzw. Wandstärke und einzelne Fingereindrücke. Im Bruch lassen sich z.T. die einzelnen Tonwulste oder -platten erkennen, aus denen das Gefäß aufgebaut wurde.

Bei der handgemachten Ware lässt sich häufig eine Handgemachte Feinware von einer handgemachten Grobkeramik unterscheiden, wobei die Abgrenzung oft schweirig ist. Erstere umfasst eher das Tafel- und Essgeschirr und ist häufiger verziert, letztere Vorrats- und Kochkeramik und ist eher funktional und ggf. mit Henkelösen, Ösen, Leistenauflagen oder Schlickrauhung versehen.

Bei sorgfältig hergestellter geglätteter Feinware ist eine Bestimmung der Herstellungstechnik meist kaum möglich, da durch eine sorgfältige Glättung der Oberfläche die entscheidenden Merkmale oft nicht mehr ablesbar sind.

Beispiele handgemachter Warenarten

Literaturhinweise

  • Dubillot/ Valais 2006: X. Dubillot/A. Valais, Les ateliers de potiers du Haut Moyen Âge de la Frétellière á Trémentines (Maine-et-Loire). In: V. Hincker (Hrsg.), La céramique du haut Moyen Âge dans le nord-ouest de l'Europe: Ve-Xe siècles. actes du colloque de Caen 2004; bilan et perspectives dix ans après le colloque d'Outreau (Condé-sur-Noireau 2006) 43–64.
  • Flügel 1996: C. Flügel, Handgemachte Grobkeramik aus Arae Flaviae – Rottweil. Fundber. Bad.-Württ. 21, 1996, 315–400.
  • Jäger 2019: S. Jäger, Germanische Siedlungsspuren des 3. bis 5. Jahrhunderts n. Chr. zwischen Rhein, Neckar und Enz. Forschungen und Berichte zur Archäologie in Baden-Württemberg 14 (Wiesbaden 2019). - https://doi.org/10.11588/propylaeum.1009 und https://doi.org/10.11588/propylaeum.1010
  • Lindenschmit/ Lindenschmit 1848: W. Lindenschmit/ L. Lindenschmit, Das germanische Todtenlager bei Selzen in der Provinz Rheinhessen (Mainz 1848). - https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb10020234?page=5 .
  • Schreg 2010: R. Schreg: Panamanian coarse handmade earthenware as melting pots of African, American and European traditions? Postmedieval Archaeology 44/1, 2010, 135-164. - https://doi.org/10.1179/174581310X12662382629256
  • Schreg 2015a: R. Schreg: Panamanian Coarse Handmade Earthenware – Cultural Traditions in objects of Daily Life. In: B. Scholkmann/ R. Schreg/ A. Zeischka (Hrsg.), A step to a global world. Historical Archaeology in Panamá. British Arch. Rep. Internat. Ser. 2742 (Oxford: Archaeopress 2015) 117-135:
  • Schreg 2015b: R. Schreg: Römer und Indios. Europäische Töpfertradition in Mittelamerika: Transformation – Imitation – Habitus. In: L. Grunwald (Hrsg.): Den Töpfern auf der Spur – Orte der Keramik­herstellung im Licht der neuesten Forschung. RGZM-Tagungen 21 (Mainz 2015) 401–410. - https://www.academia.edu/15254485
  • Wieczorek 1989: A. Wieczorek, Mitteldeutsche Siedler bei der fränkischen Landnahme in Rheinhessen. Eine Untersuchung zur handgeformten Keramik Rheinhessens. In: Das Dorf am Mittelrhein. 5. Alzeyer Kolloquium. Gesch. Landeskunde 30 (Wiesbaden 1989) 11-101.